Zähne zusammenbeißen! - Zahnpathologien beim Heimtier
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Claudia Halbach hat von 2008 bis 2014 an der Freien Universität Berlin Tiermedizin studiert und ist seit 2014 praktische Tierärztin mit einem großen Herz für Kleinsäuger. Seit 2017 ist sie Praxisinhaberin einer Berliner Kleintierpraxis, die sich im Besonderen und mit viel Herzblut auch um Heimtiere und deren Zahnprobleme kümmert.
Abbildung 1: Claudia Halbach ist mit Leib und Seele Tierärztin und hat ein besonders großes Herz für die Heimtiere.
SG: Welche Besonderheiten sind bei den Zähnen der Heimtiere (Kaninchen, Meerschweinchen, Chinchilla und Degus) zu beachten?
CH: Als Besonderheit sind sicherlich die wurzeloffenen (elodonten) Zähne zu erwähnen, wobei bei den oben genannten Tierarten sowohl die Schneide- als auch die Backenzähne lebenslang wachsen. Bei den Mäuseartigen (Mäuse, Ratten und Hamster) wachsen dagegen ausschließlich die Schneidezähne lebenslang. Bei den einzelnen Tierarten existieren noch Unterschiede in der Kauebene, beim Kaninchen, Chinchilla und Degu sollte diese gerade sein, beim Meerschweinchen insgesamt auch gerade, aber im Winkel von etwa 30 bis 40°, wobei sich die Kaufläche des Unterkiefers in Richtung lingual und die Zähne im Oberkiefer in Richtung buccal zeigt.
Abbildung 2: Zu lange und verbogene Schneidezähne bei einem Kaninchen (Foto: Claudia Halbach)
SG: Welche Symptome zeigen Heimtiere mit Zahnproblemen?
CH: Die Symptome können von recht spezifisch (einseitig Nasenausfluss, einseitiges Sabbern oder Schwellung an einem Kieferviertel, schiefe Abnutzung der Schneidezähne) bis hin zu sehr unspezifisch, wie Inappetenz, Polydipsie, mit den Zähnen knirschen, Gewichtsverlust und Leerkauen reichen. Für den Besitzer sind diese Anzeichen oft nicht klar ersichtlich. Viele Tiere sitzen lange am Futternapf, schaffen aber eine adäquate Nahrungsaufnahme nicht mehr, um ihr Gewicht zu halten. Ein regelmäßiges Wiegen, etwa 1 x in der Woche, ist daher eine sehr gutes Tool, um die BesitzerInnen für Probleme zu sensibilisieren, auch ein Abtasten des Schädels und Anschauen der Schneidezähne sind Möglichkeiten, die die Besitzer/-innen zu Hause ohne viel Aufwand gut durchführen können.
SG: Welche diagnostischen Möglichkeiten für Zahnpathologien stehen bei Heimtieren zur Verfügung?
CH: Zuallererst sollte immer eine gründliche Allgemeinuntersuchung erfolgen, auch hier sind oft schon Hinweise auf eine Neuropathologie zu finden (sabbern, Gewichtsverlust, schiefe Schneidezähne, Abszesse). Die Maulhöhle selbst lässt sich wach nur mäßig gut untersuchen, wir arbeiten mit ungeduldigen Patienten mit erheblicher Verletzungsgefahr. Mit Hilfe eines Otoskop oder eines Videoendoskops kann man durchaus eine Einschätzung erlangen (Wellengebiss, ungleich hohe Backenzahnreihen, eine artuntypische Winkelung der Backenzähne, gegebenenfalls Verletzungen der Maulschleimhaut oder Zunge). Eine genaue Untersuchung der Maulhöhle und gut gelagerte Röntgenaufnahmen lassen sich in Sedation dann wesentlich schonender für das Tier (weniger Fixierung, weniger Röntgenaufnahmen, bessere Lagerung) erzielen. Das Röntgen in verschiedenen Ebenen (d/v, l/l, Schrägaufnahmen) ist essentiell, um Zahnprobleme darstellen zu können und nach dem Ziehen von Zähnen eine Kontrolle zu erhalten. Wesentlich eleganter, wenn auch nicht überall verfügbar ist eine gut auflösendes Computertomografie (CT, nicht jedes ist fein genug) oder eine Digitale Volumentomographie (DVT). Gerade bei schwierigen Fragestellungen hat sich ein DVT sehr bewährt, um die nötige OP besser planen zu können.
Abbildung 3 und 4: Dentalröntgen bei Kaninchen in Sedation (Fotos: Claudia Halbach)
SG: Was sind die häufigsten Zahnpathologien bei Heimtieren?
CH: Die häufigsten Zahnpathologien sind Abszesse im Kopfbereich, meist ausgelöst durch Zahnfrakturen, wackelnde Zähne, falschen Kaudruck oder Fremdkörper wie pflanzliches Material.
SG: Wie sieht die fachgerechte Versorgung der Abszesse aus?
CH: In erster Linie erfolgt die Allgemeinuntersuchung, dann die eingehende Untersuchung des stomatognathen Systems, gefolgt von Bildgebung (Röntgendiagnostik/ CT) und der genauen Untersuchung der Maulhöhle. Dazu ist mindestens eine Sedation nötig. Anschließend folgt die Planung, in welchem Quadranten sind Probleme? Welcher Zahn oder welche Zähne sind beteiligt? Wie schief sind die apikalen Zahnenden? Komme ich von oral an die Zähne oder weiß ich schon, dass ich von extraoral einen Zugang oder Zugänge schaffen muss? Bei Abszessen im Kopfbereich hilft nur ein Spalten des Abszesses nicht, die Ursache muss gefunden werden. Wenn die Zähne in der Bildgebung komplett unauffällig sind, kann es auch ein hämatogen gestreuter Abszess oder ein durch Fremdkörper oder Bisse ausgelöster Abszess sein. Aber ein Abszess im Kopfbereich ist bis zum Beweis des Gegenteils in allererster Linie ein Abszess durch eine Zahnpathologie.
Ratsam ist dabei auch eine bakteriologische Untersuchung, wobei für die Untersuchung im Idealfall ein Teil der Abszesskapsel, gerne in NaCl 0,9% eingelegt, am hilfreichsten ist. Aber auch ein Zahnrest, der im Abszess stand, kann als Probe eingeschickt werden.
Abschließend wird der Abszess nach außen marsupialisiert und ein möglichst offener Zugang gelassen. Wichtig ist hier vorher eine gute Kommunikation mit den BesitzerInnen, nicht selten sind diese doch sehr schockiert. Als Tamponade hat sich bei uns folgendes Management bewährt: Am OP Tag kleiden wir die Abszesshöhle mit einer Manuka-Salbe aus, legen eine Jodotamp Tamponade ein und verschließen die marsupialisierte Stelle mit Hautklammern. Die erste Kontrolle erfolgt nach 2 bis 3 Tagen. Anschließend abhängig davon, wie viel Eiter sich nachbildet, 1 bis 3-mal pro Woche. Dabei wird vor allem die Tamponade erneuert und die Wundfläche aufgefrischt, entweder vorsichtig mit einem scharfen Löffel oder mittels Wattestäbchen. Ob wir jedes Mal klammern, hängt ein wenig vom Abszess und der Versorgung zu Hause ab.
SG: Empfiehlst du spezielles Equipment für die Versorgung von Heimtierzahnproblemen? Welche Gerätschaften sind unverzichtbar?
CH: Vor allem eine gute Leuchte, Licht erleichtert die Diagnostik ungemein, gerne auch eine Lupenbrille. Auch ein Dentalröntgen ist extrem hilfreich, man sieht oft sehr viel mehr als beim konventionellen Röntgen. An Zahnbesteck hat irgendwann jeder so sein „Lieblings-Equipment“, aber ein leichter Maulspreizer (Bitte ausschließlich in Narkose/ Sedation anwenden!), verschiedene Wangenspreizer (ich mag die Modelle mit den langen Backen, die nach hinten schmaler werden und leicht nach außen divergieren sehr gerne) und Spatel, um sich die Zunge oder Wange weg zu halten, sind zu empfehlen. Wenn es an das Ziehen von Zähnen, Einschleifen und das Eröffnen von Abszessen geht, kommt man um einen Mikromotor, Rosenbohrer, verschiedene Diamantwalzen und ein komplettes Zahnbesteck (Molaren Luxator, Incisiven Luxator, Zahnfasszangen, Pinzetten) nicht drum herum.