Zahnmedizin: Oft unerkannt, doch relevant - das stumme Leiden der Katzen mit (FO)RL
SG: Danke, dass ihr euch für uns Zeit genommen habt, um mit uns dieses spannende Feld zu erörtern. Dann fangen wir gleich an: Was versteht man denn unter FORL und mit welchen Veränderungen geht FORL einher?
AE: Dazu erstmal eine kurze Berichtigung. Wie so oft in der Medizin handelt es sich um eine Erkrankung die gerne mal den Namen wechselt. Derzeit hat man sich auf den Namen RL - Resorptive Läsionen geeinigt. Das feline hat man weggekürzt, da man die Tierart ja immer anderweitig im Kontext benennt und auch nicht nur Katzen betroffen sind. Das O steht für odontoklastisch, da die Forscher es für selbstverständlich halten, dass immer Odontoklasten die Resorptionen auslösen, wurde dies ebenfalls eingekürzt. Odontoklasten sind physiologisch dafür zuständig Milchzahnwurzeln zu resorbieren. Warum sie dies auch im bleibenden Gebiss tun, ist bis heute leider nicht abschließend geklärt. Im ersten Stadium wird der Zahnzement im Wurzelbereich angegriffen, davon ausgehend schreitet der Vorgang in das Dentin, sowohl von Wurzel als auch Krone, fort. Im Kronenbereich kommt es nach Dentinresorption zu Einbrüchen der dünnen Schmelzschicht, wodurch die typischen Löcher entstehen. Diese Prozesse sind sehr schmerzhaft für die Tiere.
SG: Gibt es einen typischen Vorbericht für Katzen mit dieser Erkrankung?
AE: Die allermeisten Patienten kommen gänzlich ohne Vorbericht für eine Zahnerkrankung und es sind lediglich Zusatzbefunde in der Untersuchung für die Impfung oder im Rahmen von anderen Krankheitsgeschehen. Besonders bei Symptomen wie Unsauberkeit, vermehrtem Putzen oder auch vermindertem Putzen (Filzbildung), Aggressivität und Problemen im Mehrkatzenhaushalt sollte besonders Augenmerk auf die genaue Adspektion der Maulhöhle gelegt werden. Wenn die Katzen bereits mit dem Vorbericht für Zahnprobleme kommen, handelt es sich oft um Veränderungen bei der Futteraufnahme, Foetor ex ore, Reiben der Maulpartie, Akne/ Hautveränderungen im Kinn- und Maulbereich, Speicheln oder Kopf-Schiefhaltung.
SG: Wie diagnostiziert man RL richtig?
AE: Die Adspektion der Maulhöhle kann uns nur erste Hinweise liefern. Für eine richtige Diagnosestellung müssen wir die Katzen in einer adäquaten Anästhesie mittels dentalem Röntgen und Untersuchung der Zähne mittels Parodontal- und Schmelzsonde aufarbeiten. Erst durch eine Röntgenaufnahme ist der Typ und das Stadium der resorptiven Läsionen darstellbar. Auch das Vorliegen von weiteren Erkrankung, wie Parodontitis, ist so sicher beurteilbar.
Abbildung 1: 404 Eckzahn im Unterkiefer rechts mit Typ 2 Resorption, Stadium 5
Abbildung 2: 207: Erster Backenzahn im Unterkiefer rechts mit Typ 2 Resorption, Stadium 5
Abbildung 3: 409: Dritter Backenzahn im Unterkiefer mit Resorption Typ 1
SG: Was sind die Ursachen von RL?
AE: Die Erkrankung wird durch verschiedene Stimuli ausgelöst, die über das OPG-RANK-RANKL System, körpereigene Fresszellen, die Odontoklasten aktivieren. Es gibt sehr viele Studien zu den Einflüssen von Vitamin D-Gehalt im Katzenfutter im Zusammenhang mit entzündlichen Zytokinen. Dies hat sich allerdings nicht abschließend bestätigt.
Die Infektion mit Erregern des Katzenschnupfenkomplexes (z.B.: Caliciviren) scheint insbesondere bei jüngeren Tieren eine Rolle zu spielen.
SG: Gibt es Rasseprädispositionen?
MS: Nein, alle Rassen und Typen sind betroffen. Tendenziell sind in den Studien aber Rassekatzen und Katzen in reiner Wohnungshaltung vermehrt betroffen.
SG: Wie sieht die Behandlung aus?
AE: Betroffene Zähne lassen sich ausschließlich durch Extraktion „behandeln“. Die Art des RL Röntgentyps entscheidet dabei über das Vorgehen. Wenn es sich um ein fortgeschrittenes Stadium einer Typ 2-Resorption handelt, ist oft nur eine Teilextraktion bzw. Kronenamputation möglich und nötig. Bei einer Typ 1-Resorption ist zwingend die Extraktion des kompletten Wurzelmaterials notwendig. Wir unterscheiden bei der Extraktion zwischen der geschlossenen und der offenen Technik. Ziel ist dabei immer möglichst schonend mit dem umliegenden Gewebe, speziell der Gingiva umzugehen. Bei Frakturen des Zahnes bei Extraktion sind Kontrollröntgenbilder zur Erfolgskontrolle unverzichtbar.
SG: Was ist das Risiko bei RL und wie ist die Prognose einzuschätzen?
MS: Die Prozesse der resorptiven Läsionen sind sehr schmerzhaft und wenn die Läsionen am Kronenbereich auftreten kommt es häufig zu offenen Zahnfrakturen und Entzündungen der Maulschleimhaut und Gingiva. Unbehandelte und unerkannte Zahnschmerzen aufgrund der Läsionen führen zu chronischen Schmerzzuständen und Änderungen im Verhalten der Katzen.
SG: Ist eine Früherkennung oder gar Prävention möglich?
MS: Laut Studien finden sich bei 80 % aller Katzen über 3 Jahren behandlungsbedürftige Erkrankungen im Maulbereich. Mit einer Häufigkeit von bis zu 70 % sind dabei die Resorptiven Läsionen (RL) an erster Stelle der Zahnerkrankungen der Katze. Ein jährlicher Check Up bei der Impfung oder Routine-Untersuchung mit Untersuchung der Maulhöhle kann erste Hinweise geben. Die richtige Diagnose kann jedoch nur mittels Dentalröntgen gestellt werden. Wenn wir einen Verdacht haben, raten wir immer zu diesem diagnostischen Schritt.
SG: Wie klärt ihr die Besitzer über dieses stille Leiden der Katzen auf?
MS: Wir nutzen in der Praxis unser Gebissmodell, sowie Röntgenaufnahmen von gesunden und erkrankten Tieren. Außerdem haben wir einen Blogbeitrag zu der Erkrankung geschrieben und eine separate Zahn-Website erstellt. Die Tierbesitzer erhalten zur Aufklärung eine kleine Karte mit einem QR Code zum Scannen mit dem Handy. Dieser führt zum bebilderten Blogbeitrag.
SG: Sehr gute und umfangreiche Aufklärung! Lasst uns aber noch ein bisschen über das Dentalmodell sprechen, dass ihr extra für die Besitzeraufklärung entwickelt habt. Wie lief das ab? Was waren eure Gedanken dazu? Und kann man das Modell kommerziell erwerben?
MS: Während es für Hunde bereits fertige plastische Modelle zur Erklärung von Parodontitis, persistierende Milchzähnen und Zahnfrakturen gibt, kam bei uns der Wunsch auf, auch für die klassische Katzenzahnkrankheit „Resorptive Läsionen“ (ehemals FORL) etwas in den Händen halten zu können. Doch weder im Großhandel für Veterinärmedizin, noch im World Wide Web konnten wir ein “FORL / RL”-Gebissmodell finden. Um die BesitzerInnen-Kommunikation anschaulicher zu gestalten und damit auch das Verständnis für die Notwendigkeit einer adäquaten Therapie zu verbessern, haben wir gemeinsam mit dem Dentaltechniker Wolfgang Häusler (Tierdent) unser Katzenzahnmodell entworfen.
Das Katzen Gebissmodell vom Unterkiefer kann jeder TierärztIn, egal ob in der Klinik, Haustierarztpraxis oder spezialisierten Dentalpraxis, in der Aufklärung über die Erkrankung „Resorptive Läsionen“ gegenüber den PatientenbesitzerInnen ein hilfreiches Tool sein. Durch die 3D Ansicht ist das Krankheitsbild für viele KundInnen besser greifbar. Der Katzenunterkiefer ist im Quadrant links mit gesundem Zahnfleisch, Kieferknochen und nicht erkrankten Zähnen dargestellt. Im rechten Unterkieferquadrant sind der Eckzahn (404) sowie die Backenzähne P3 (407), P4 (408) und M1 (409) mit den verschiedenen Röntgentypen der resorptiven Läsionen dargestellt. Durch Abnehmen der Gingiva kann den KatzenbesitzerInnen deutlich gezeigt werden, welches (zuvor für den normalen Haustierbesitzer nicht sichtbare) Ausmaß der Erkrankung erst im Wurzelbereich bzw. unter dem Zahnfleisch zu Tage tritt. Demnach ist es in der Kommunikation auch einfacher, die Notwendigkeit mehrerer Dentalröntgen-Aufnahmen für die Diagnostik der Erkrankung zu rechtfertigen. Am Zahnfleisch des Modells finden sich neben Rötungen und Entzündungszeichen, die besonders bei den Läsionen im Kronenbereich, oft einhergehende Überwucherung des Zahnfleisches, um das offene und schmerzhafte Dentin abzudecken. Den BesitzerInnen können anhand des Modells gleichzeitig gesunde Katzenzähne im Vergleich zu erkrankten Zähnen dargestellt und erläutert werden. Im Entwicklungsprozess mit Wolfang Häusler haben wir Dentalröntgenaufnahmen aus dem eigenen Patientenklientel als Vorlage für die Zähne im Gebiss genutzt und die Modellzähne anhand dieser beschliffen und verändert (siehe Bilder oben).
Das Gebissmodell kann im Online-Shop über unsere Dentalwebsite www.tierzahnarzt-leipzig.de/ erworben werden.
Abbildung 4 A-C: Katzenzahnmodelle mit "Resorptiven Läsionen" (RL) zur Besitzeraufklärung
Zum Weiterlesen:
[1] Reiter AM, Lewis JR, Okuda A. Update on the etiology of tooth resorption in domestic cats. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2005 Jul;35(4):913-42, vii. doi: 10.1016/j.cvsm.2005.03.006.
[2] Booij-Vrieling HE, de Vries TJ, Schoenmaker T, Tryfonidou MA, Penning LC, Hazewinkel HA, Everts V. Osteoclast progenitors from cats with and without tooth resorption respond differently to 1,25-dihydroxyvitamin D and interleukin-6. Res Vet Sci. 2012 Apr;92(2):311-6. doi: 10.1016/j.rvsc.2011.03.014.
[3] Lewis JR, Okuda A, Shofer FS, Pachtinger G, Harvey CE, Reiter AM. Significant association between tooth extrusion and tooth resorption in domestic cats. J Vet Dent. 2008 Jun;25(2):86-95. doi: 10.1177/089875640802500209.
[4] Reiter AM, Mendoza KA. Feline odontoclastic resorptive lesions an unsolved enigma in veterinary dentistry. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2002 Jul;32(4):791-837, v. doi: 10.1016/s0195-5616(02)00027-x.
[5] Feline odontoklastische resorptive Läsionen (FORL) bzw. resorptive Läsionen (RL). In: Lutz H, Kohn B, Forterre F, Hrsg. Krankheiten der Katze. 6., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2019
[6] Feline odontoklastische resorptive Läsionen (FORL). In: Eickhoff M, Hrsg. Bild-Atlas der Zahnbehandlungen Hund und Katze. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2022.
[7] Schemata zu felinen odontoklastischen resorptiven Läsionen (FORL). In: Eickhoff M, Hrsg. Bild-Atlas der Zahnbehandlungen Hund und Katze. 1. Auflage. Stuttgart: Enke Verlag; 2017.