Notfallmedizin Exoten: (ALB)TRAUMA beim Reptil – traumatische Verletzungen beim Reptil und deren Versorgung
In wenigen Wochen ist es soweit und die „Deutsche Vet“ lädt interessierte Tierärztinnen und Tierärzte, sowie tiermedizinisches Fachpersonal nach Dortmund ein. Ein großer Themenkomplex vor Ort wird auch die Exotenmedizin sein. In Vorbereitung auf dieses spannende Thema habe ich mit der Reptilientierärztin Anett Dreihaupt über traumatische Verletzungen beim Reptil und deren Versorgung gesprochen. Anett hat 2020 erfolgreich ihr Studium in Leipzig abgeschlossen. Schon während des Studiums zeigte sie besonderes Interesse an Vögeln und Reptilien und arbeitete als studentische Hilfskraft in der Klinik für Vögel und Reptilien in Leipzig. Diese Arbeit faszinierte Anett so sehr, dass sie direkt nach dem Studium als Doktorandin in der Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig begann. Seit letztem Jahr trägt sie die „Zusatzbezeichnung Reptilien“ und bildet sich derzeit im Rahmen der „Zusatzbezeichnung Zier-, Zoo- und Wildvögel“ weiter. Sie ist sowohl als Stationstierärztin in der Klinik tätig, als auch im Bereich Lehre und Ausbildung der StudentInnen involviert und hält regelmäßig Vorträge in Ihrem Gebiet bei Tagungen und Kongressen.
Für die bessere Übersichtlichkeit haben wir unser Interview in 4 Komplexe (Komplex 1 Bissverletzungen, 2 Verbrennungen, 3 Frakturen und 4 Bagatellverletzungen) eingeteilt.
Komplex 1 Bissverletzung (vor allem durch größere Tiere wie Hunde):
SG: Wenn ich „traumatische Verletzungen bei Reptilien“ höre, muss ich zuerst immer an die Schildkröte, die vom Hund geschnappt wurde, denken. Wie gehe ich an so einen polytraumatisierten Patienten mit Bissverletzung richtig heran? Wie wird richtig stabilisiert und therapiert?
AD: Es ist sehr abhängig davon, wie schwerwiegend die Verletzungen sind. Es reicht von leichten „Knabberspuren“ bis hin zum Fehlen des halben Panzers. Außerdem spielt die Jahreszeit eine wichtige Rolle, da sich zum Beispiel bei warmen Temperaturen schnell Fliegenmaden in den Wunden einnisten.
Neben der Erhebung einer Anamnese, sollte man sich als erstes einen Überblick verschaffen. Nach der allgemeinen Untersuchung ist es wichtig zu schauen, welche Wunden es gibt, wie tief sie sind und welche inneren Strukturen möglicherweise betroffen sein könnten.
Wenn eine Schildkröte von einem Hund angeknabbert wird, zieht sie sich meist mit dem Kopf und den Gliedmaßen in den Panzer zurück, sodass oftmals „nur“ der Panzer betroffen ist. Es ist wichtig, sich ganz genau jede kleine Wunde am Panzer gut anzuschauen. Denn die Zähne von Hunden können oftmals auch nur ein kleines Loch verursachen, in dem sich Bakterien ausbreiten können.
Nachdem man sich als Tierarzt/Tierärztin einen ersten Überblick verschafft hat, ist es wichtig den Patienten zu stabilisieren. Wir geben meist eine Infusion, Analgetikum und starten mit einem Breitspektrum-Antibiotikum (Enrofloxacin, Marbofloxacin). Anschließend versorgen wir die Wunden. Je nach Ausmaß der Wunden ist eventuell eine chirurgische Versorgung mit Wundauffrischung nötig.
SG: Worin besteht die Gefahr bei solchen Verletzungen? Wie hoch ist die Komplikationsrate? Können gegebenenfalls Modifikationen der Umwelt (z.B. Terrariumsbedingungen) zur Verbesserung des Heilungsverlaufes beitragen oder unterstützende Maßnahmen ergriffen werden? Und wie ist die Prognose nach Bissverletzungen?
AD: Da die größte Komplikation eine Sepsis ist, ist es in der ersten Woche wichtig den Patienten gut zu beobachten und zu versorgen. Sollte sich der Zustand der Schildkröte verschlechtern und der Bauchpanzer sich vermehrt röten, muss eventuell eine Blutkultur angefertigt und das Antibiotikum nach Resistenztest umgestellt werden. Da der Panzer aus einer oberflächlichen Hornschicht und der direkt darunter liegenden Knochenschicht besteht, ist die Gefahr einer solchen Komplikation bei einer Panzerverletzung meist höher als bei nur kleinen Hautwunden. Zudem dauert der Heilungsprozess vom Knochen viel länger, als Richtwert kann man sich bei Knochenfrakturen etwa 4 bis 6 Wochen und bei Panzerfrakturen sogar 3 bis 6 Monate merken.
Bei der weiteren Versorgung der Schildkröten ist drauf zu achten, dass die Wunden vor Fliegen geschützt werden (besonders im Sommer). Wir nutzen bei uns in der Klinik Fliegennetze, welche wir auf die Boxen der Schildkröten befestigen. Außerdem ist eine saubere Haltung auf zum Beispiel Zellstoff oder Zeitung ratsam, bis die Wunden angetrocknet oder verheilt sind (je nach Ausmaß). Die Wunden werden je nachdem lokal desinfiziert, mit einer Wundspüllösung oder einem Wundgel versorgt. Bei einer Panzerverletzung, besonders bei Bissverletzungen, kann es auch zu einer Schimmelbildung kommen. Wenn dies eintritt ist eine lokale antimykotische Versorgung nötig.
Bei einer starken Verletzung ist es wichtig die Schildkröten bis zur Abheilung sicher unterzubringen. Da dies meist erst einmal eine Haltung in der Wohnung bedeutet, und nicht im Außengehege, ist es wichtig eine sehr gute UV- und Wärmelampe zu installieren. Bei einer Knochenverletzung ist außerdem eine Zugabe von Kalzium über das Futter oder der Infusion ratsam.
Wenn es der Schildkröte aufgrund des schweren Traumas so schlecht geht, dass sie nicht selbst frisst, ist gegebenenfalls eine assistierte Fütterung notwendig.
Die Prognose ist jedoch je nach Ausmaß relativ gut. Sollte sich jedoch eine Sepsis entwickeln und/oder Panzerstücke fehlen ist die Prognose eher sehr vorsichtig.
Wichtig ist, die BesitzerInnen gut aufzuklären und gegebenenfalls eine ausführliche Haltungsberatung durchzuführen, damit solch eine Verletzung durch Hunde nicht mehr passiert (Gehege Hunde-sicher/ einbruchssicher gestalten).
Abbildung: Verletzungen bei Schildkröten (Bildquelle: Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig)
A: Bissverletzung durch einen Hund bei einer Griechischen Landschildkröte
B: Steppenschildkröte mit Panzerfraktur und Madenbefall
C: Steppenschildkröte mit nekrotischen rechten Bein (wahrscheinlich durch eine alte Wunde die sich entzündet hatte)
Komplex 2 Verbrennungen:
SG: Wie kommt es zu Verbrennungen bei Reptilien? Sind bestimmte Reptilienarten vermehrt betroffen? Welche Körperregionen sind besonders betroffen?
AD: Verbrennungen sehen wir in der Klinik am häufigsten bei Schlangen, die sich um eine ungesicherte Lampe oder zwischen ein Heizpanel wickeln. Schlangen suchen gezielt die Wärme und merken leider nicht, wenn es zu heiß wird. So können die Schlangen sich schnell Verbrennungen zuführen. Häufig betroffene Körperregionen sind dabei eine Seite der Körperwand oder der Bereich der Bauchschuppen. Ursache ist hier oft eine ungesicherte und ungeschützte Wärmequelle. Lampen sollten außerhalb des Terrariums installiert werden oder mit einem Schutzkorb versehen werden.
Als zweithäufigste Art mit Verbrennungen sehen wir Echsen, zum Beispiel Chamäleons. Hier ist oftmals ein zu geringer Abstand zwischen Lampe und Tier die Ursache.
SG: Nun ist der Schaden leider schon geschehen. Doch wie versorge und therapiere ich Verbrennungen beim Reptil richtig?
AD: Als Therapie ist erst einmal eine Stabilisierung des Patienten mit Infusion und Schmerzmittel wichtig. Sollte die Haut oberflächlich geschlossen sein, ist eine lokale Behandlung mit Wundgelen (z.B. Prontovet-Gel) ratsam. Wichtig ist eine weiterhin tägliche Versorgung mit Infusion, da die Tiere durch größere Brandwunden stark dehydriert sein können.
Sollte die Haut eröffnet sein, ist eine bakteriologische und mykologische Tupferprobenentnahme zu empfehlen. Anschließend sollten eine systemische antibiotische Behandlung mit einem Breitspektrum-Antibiotikum und eine lokale Wundbehandlung folgen.
Bei Verbrennungen gibt es jedoch auch Fälle, in denen man im Sinne des Reptils entscheiden muss. Wenn die Verbrennung zu großflächig sein sollte oder schon Nekrosen entstanden sind, ist die Prognose schlecht bis infaust. Gegebenenfalls sind hier Amputationen oder gar eine Euthanasie angebracht.
SG: Welche Tipps können zur Prävention von Verbrennungen den Tierhalten an die Hand gegeben werden, um diese Fälle zu vermeiden?
AD: Eine Prävention ist bei Verbrennungen recht einfach, man sollte den Mindestabstand zwischen Tier und Lampe einhalten und vor allem, gerade bei Chamäleons, die Lampe außerhalb des Terrariums mit einer Schutzgaze dazwischen positionieren. Man muss immer beachten, dass Chamäleons bis zur Decke klettern können und so der Abstand zur Lampe auch an der höchsten Stelle im Terrarium eingehalten werden muss. Außerdem sollten die Wärmequellen so geschützt installiert werden, dass sie keinen direkten Kontakt zum Tier haben können.
Komplex 3 Frakturen:
SG: Wie oft kommen Frakturen bei Reptilien vor und was sind die häufigsten Ursachen? Welche Knochen sind vorwiegend betroffen?
AD: Frakturen bei Reptilien kommen eher seltener vor. Die häufigsten Ursachen sind Haltungsfehler. Einerseits kann es bei sonnenliebenden Reptilien bei einem UVB- und Kalziummangel zu einer Verringerung der Knochendichte kommen, was wiederum schneller zu Frakturen führen kann. Anderseits kann ein Fehler in der Besetzung zu Stress, Verletzungen und Frakturen führen. Die letzte Fraktur, die wir in der Klinik hatten, war eine Beckenfraktur einer weiblichen Bartagame. Sie wurde mit einem Männchen in einem Terrarium gehalten. Diese Bartagame hatte zuvor schon einen Schwanzabbiss durch das Männchen erleiden müssen. Die Tiere wurden nicht wie angeraten getrennt gehalten. Männliche Tiere können sehr territorial sein und gerade in der Fortpflanzungszeit kann es zu schweren Bissverletzungen zwischen den Tieren kommen. Das weibliche Tier wurde so sehr durch das Terrarium gejagt, dass es sich dann eine Beckenfraktur zugezogen hatte.
Häufiger sind jedoch Schwanzverletzungen (durch Bisse) oder Brüche von Humerus oder Femur, die auch wiederum von Partnertieren zugefügt wurden sein können.
SG: Wie erfolgt die Stabilisierung? Sind Osteosynthesen bei bestimmten Arten von Frakturen möglich? Was gibt es zu beachten?
AD: Eine Stabilisierung einer Humerus- oder Femurfraktur kann einerseits konservativ mit einer Schienung erfolgen. Bei einem Bruch an Vorder- oder Hintergliedmaßen kann man diese am Körper oder am Schwanz einbinden und fixieren. Hier ist jedoch zu beachten, dass bei Reptilien, die zur Autonomie fähig sind, nicht der Schwanz als Schiene benutzt werden darf. Die zweite Möglichkeit ist eine chirurgische Versorgung. Jedoch ist hier zu beachten, dass bei einem intramedullären Pin Keime in die Wunde eintreten können und es zu Wundheilungsstörungen kommen kann. Bei Reptilien dauert die Knochen- und Wundheilung oft viel länger als bei den Säugetieren.
Die weitere Therapie ist eine Unterstützung des Patienten mit einer Kalziumzugabe, Analgesie und bei offenen Frakturen eine Antibiose. Oftmals ist auch eine strenge Boxenruhe in einem kleineren Terrarium nötig, damit die Fraktur z.B. im Bereich von Gliedmaßen besser heilen kann.
Komplex 4 kleinere Schnitt- oder Kratzverletzungen, sowie Quetschungen und Prellungen:
SG: Was sind die häufigsten Ursachen kleinerer Verletzungen? Sind bestimmte Reptilienarten besonders häufig betroffen?
AD: Die häufigste Ursache kleinerer Verletzungen, die wir in der Klinik sehen, ist eine falsche Vergesellschaftung. Bartagamen zum Beispiel werden fälschlicherweise häufig paarweise zusammen gehalten, was auf Dauer sehr problematisch werden kann. Ebenso werden europäische Landschildkröten fälschlicherweise häufig paarweise, oder in Gruppen mit weniger Weibchen als Männchen zusammen gehalten. Die männlichen Griechischen Landschildkröten haben einen sehr prominenten Hornnagel an der Schwanzspitze. Wird zu dem Männchen nur ein Weibchen oder mehrere Männchen auf weniger Weibchen gehalten, können diese bei der Fortpflanzung dem Weibchen starke Deckverletzungen zuführen. Ich habe einen solchen Fall einmal bei einem normalen Wintercheck gesehen. Da wurde ein Weibchen auf drei Männchen gehalten. Die Besitzer haben nicht gesehen, dass das Weibchen im Sommer eine massive Verletzung in der Kloake erlitten hatte, welche durch die lange Zeit ohne Behandlung zu einer starken Nekrose führte.
Kleinere Verletzungen hat man auch häufiger bei im Freiland gehaltenen Tieren. Hier ist es wichtig, das Außengehege so sicher wie möglich zu bauen.
SG: Sollte mit jeder (auch kleineren) Verletzung der Tierarzt aufgesucht werden, bzw. bei welchen Verletzungen sollte umgehend ein Tierarzt konsultiert werden?
Prinzipiell ist es anzuraten, bei jeder kleinen Wunde oder Verletzung einen reptilienkundigen Tierarzt/Tierärztin aufzusuchen. Denn HalterInnen können vielleicht nicht immer gleich das volle Ausmaß der Wunden erkennen. Besonders bei Schwanzverletzungen können schnell Nekrosen entstehen, die unbedingt versorgt werden müssen. Hier wird meist mit dem Gang zu einem kundigen Tierarzt/Tierärztin zu lange gewartet. Bei Bissverletzungen können Bakterien zu Entzündungen bis hin zu einer Sepsis führen. Deshalb ist, je nachdem wie die Wunde aussieht, eventuell auch eine Antibiose und vor allem eine Analgesie (z.B. NSAIDs wie Meloxicam oder Carprofen – Vorsicht Magenulzera!) notwendig.
SG: Was sollte jeder Reptilienhalter in seiner Notfallapotheke zur Behandlung von kleineren Verletzungen oder zur Erstversorgung vorrätig haben?
AD: Als Notfallapotheke sollte man ein Desinfektionsspray (z.B. Octenisept®) im Haus haben. Bei größeren Wunden kann man eine Binde und Tupfer zum Abdecken und Schutz vor Fliegen verwenden, was bis zum Erreichen des Tierarztes/Tierärztin hilfreich sein kann.
SG: Es gibt sicher präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Verletzungen. Wie sehen diese aus?
AD: Präventiv sollte man sich stets vor dem Kauf eines Reptils über die artgerechte Haltung informieren. Zu häufig werden Tiere auf engstem Raum gehalten. Ein großes Problem sehe ich in der oftmals falschen Beratung in Zooläden.
Wir empfehlen KundInnen beim Reptilien-Neukauf einen Check bei einem reptilienkundigen Tierarzt/Tierärztin. In einem Erstgespräch mit Haltungsberatung kann schon viel an Erkrankungen und Verletzungen verhindert werden. Jedoch wird dies meiner Meinung nach noch viel zu wenig von den BesitzerInnen in Anspruch genommen.
Zum Weiterlesen:
- Garner, Michael M.; Jacobson, Elliott R. (Hg.) (2021): Noninfectious diseases and pathology of reptiles. Color atlas and text. First edition. Boca Raton: CRC Press, Taylor & Francis Group (Diseases and pathology of reptiles, volume 2).
- Girling, Simon; Raiti, Paul (Hg.) (2019): BSAVA manual of reptiles. British Small Animal Veterinary Associationissuing body. 3rd edition. Quedgeley [England]: British Small Animal Veterinary Association. Online verfügbar unter https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true&scope=site&db=nlebk&db=nlabk&AN=2176712.
- Mader's Reptile and amphibian Medicine and Surgery (2019). Unter Mitarbeit von Stephen J. Divers und Scott J. Stahl. 3. Aufl. Missouri: Elsevier.
- McArthur, Stuart; Wilkinson, Roger; Meyer, Jean (Hg.) (2004): Medicine and Surgery of Tortoise and Turtles. 2. Aufl. Oxford: Blackwell Publishing Ltd.
- Mitchell, Mark A.; Diaz-Figueroa, Orlando (2004): Wound management in reptiles. In: Veterinary Clinics of North America: Exotic Animal Practice 7 (1), S. 123–140. DOI: 10.1016/j.cvex.2003.08.006.
- Raftery, Aidan (2011): Reptile Orthopedic Medicine and Surgery. In: Journal of Exotic Pet Medicine 20 (2), S. 107–116. DOI: 10.1053/j.jepm.2011.02.005.