Rehabilitationsmedizin: „Wer ins kalte Wasser springt, taucht in ein Meer voller Möglichkeiten“ – Aquatherapie beim Kleintier und wann ist sie sinnvoll?
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Bei welchen Erkrankungen kann eine Aquatherapie sinnvoll sein? Macht nur ein Training im Hydrotrainer Sinn? Wie sieht es mit Alternativen wie dem Schwimmen in Gewässern oder dem Wassertreten aus? Welche Kontraindikationen gibt es? Was sollte generell beachtet werden? Und was sagen Katzen zur Aquatherapie? Ist das ein No-Go? Diese und viele weitere Fragen möchte ich in diesem Beitrag beantworten:
Abb.1: Der abendliche Sommerausflug an den See kann auch gleichzeitig als Trainingseinheit für die Vierbeiner genutzt werden.
Die Aqua- oder Hydrotherapie gehört zu den aktiven Bewegungstherapien der Rehabilitationsmedizin und wird im Allgemeinen zur Kräftigung der Muskulatur und zur Steigerung der Beweglichkeit eingesetzt. Zudem können auch Ausdauer und Koordination trainiert werden. Wasser hat viele physikalische Eigenschaften, welche man sich für das Training zu Nutze machen kann. Zum einen hat die Wassertemperatur einen thermischen Effekt. Je nachdem, ob in warmen oder kalten Wasser trainiert wird, kann man sich so die Effekte der Kälte- oder Wärmetherapie zu Nutze machen. Kaltes Wasser wirkt kühlend und vasokonstriktiv und kann bei akuten Prozessen, die mit Entzündungsreaktionen einhergehen, schmerzlindernd wirken. Warmes Wasser wirkt durchblutungsfördernd und muskelentspannend und kann über diese Schiene vor allem bei chronischen Erkrankungen zu einer Schmerzlinderung führen.
Weiterhin wird bei der Aquatherapie die relative Dichte des Wassers im Vergleich zur relativen Dichte des Patienten, sowie der Auftrieb des Wasser genutzt. Dadurch wiegt ein Körper im Wasser weniger als an Land und das bedeutet für den Patienten, dass er weniger Eigengewicht tragen muss. Somit kann mit weniger Gelenkbelastung trainiert werden. Je tiefer der Körper im Wasser ist, desto weniger Eigengewicht muss der Patient tragen.
Aufgrund des hydrostatischen Drucks, den die Wassersäule auf den Körper ausübt, wirkt die Aquatherapie sich positiv bei Ödemen und Schwellungen aus. Diese Eigenschaft muss bei Patienten mit kardiorespiratorischen Störungen bedacht werden, da es dem Patienten, aufgrund des hydrostatischen Drucks im Wasser schwerer fällt den Brustkorb zu erweitern und einzuatmen.
Aufgrund der Viskosität des Wassers läuft oder schwimmt der Patient gegen den Wasserwiderstand an, was zur Kräftigung der Muskulatur und zur Steigerung der Ausdauer führt. Und auch die Oberflächenspannung des Wassers kann beim Wassertreten und im Unterwasserlaufband gezielt genutzt werden.
Hydrotrainer (Unterwasserlaufband)
Das Unterwasserlaufband kann neben der Muskelkräftigung auch zur Gangschulung eingesetzt werden. Es wird die Rückenmuskulatur und die Gliedmaßenmuskulatur trainiert. Letztere in Abhängigkeit vom Wasserstand und gegen den Wasserwiderstand. Des Weiteren können die Ausdauer verbessert und auch die Koordination trainiert werden und dies mit dem großen Vorteil der Gelenkentlastung!
Vor allem neurologische Patienten, die noch nicht wieder selbstständig gehfähig sind, aber schon sehr gute Laufbewegungen zeigen, können auf dem Unterwasserlaufband zum Einen durch die Gewichtsentlastung und zum anderen durch die stabilisierende Wirkung der Wassersäulen bei hohem Wasserstand selbstständig laufen und korrekte Gehbewegungen trainieren. Aber auch für viele orthopädische Patienten ist das Training im Unterwasserlaufband aufgrund der Gelenkentlastung sinnvoll.
Im Allgemeinen ist die Flexion aller Gelenke größer beim Laufen auf dem Unterwasserlaufband, wobei die Flexion am größten ist, wenn der Wasserstand über dem Level des betreffenden Gelenks liegt (also z.B. beim Training des Kniegelenks sollte der Wasserstand oberhalb des Knies liegen). Die Extension der Gelenke ist mit dem Gehen auf dem Trockenlaufband vergleichbar, wird aber bei steigendem Wasserlevel (hüfthoch) dann wieder kleiner.
Abb. 2: Dackel im Unterwasserlaufband zur Rehabilitation nach Diskopathie
Hier eine Liste für typische Indikationen des Unterwasserlaufbands:
Neurologische Erkrankungen:
- Diskopathien (konservativ behandelte akute oder chronische Fälle, sowie auch post OP)
- Fibrokartilaginöse Embolie/ Rückenmarksinfarkt
- Lumbosakrale Stenose/ Cauda equina Kompressionssyndrom
- Degenerative Myelopathie
- Spinale arachnoidale Divertikel
- Syringohydromyelie
- Radialisparese/ Plexustrauma/ Plexusabriss
- Parese des Nervus ischiadicus oder des Nervus femoralis
- Post OP nach Wirbelfrakturen und –luxationen
- Periphere Neuropathien
- Vestibuläre Patienten (mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen)
Orthopädische Erkrankungen:
- Reha nach Kreuzbandriss-OP
- Patellaluxation (mit und ohne OP)
- Hüftgelenksdysplasie
- Osteochondrosis dissecans
- nach Femurkopfhalsresektion
- nach chirurgischen Frakturversorgung
- nach Sehnenschäden
- zur Gangschulung
- bei Osteoarthrose Patienten
Welche Effekte müssen beachtet werden?
Der Wasserdruck selbst hat einen Einfluss auf die Entwässerung des Patienten und dessen Kreislaufsituation, was vor allem bei geriatrischen Patienten oder auch Patienten mit Herzproblemen zu beachten ist.
Zu den Kontraindikationen:
Neben Allgemeininfektionen und schlechtem Allgemeinbefinden, bei dem der Patient ruhen sollte, sind auch ausgeprägte Herz- und Atemwegserkrankungen, die dazu führen könnten, dass der Patient den erhöhten Sauerstoffbedarf nicht decken kann, ein Ausschlusskriterium. Weiterhin sollten Patienten mit offenen Wunden, Hauterkrankungen oder Hautinfektionen nicht ins Wasser. So empfehle ich persönlich auch frische OP-Wunden nicht ins Wasser zu nehmen, sondern bis zum Fädenziehen (10-14 Tage post OP) zu warten. Dies ist meine persönliche Meinung und ich weiß, dass es auch oft anders gehandhabt wird und die Wunde dann mit wasserundurchlässigen Cremes oder Salben vor der Aquatherapie abgedeckt werden.
Junge Tiere unter 5 Monaten sollten aufgrund des Risikos der Auskühlung besser mit dem Trockenlaufband arbeiten. Läufige Hündinnen ebenso (oder mit niedrigem Wasserstand), da das Risiko aufsteigender Infektionen über das Wasser zu hoch ist. Bei Patienten mit frischen Muskelzerrungen oder Muskelfaserrissen sollte auf Aquatherapie vorerst verzichtet werden und auch Patienten mit akuten Sehnenentzündungen (z.B. Tendinitis der Bizepssehne oder der Patellarsehne) sollten nicht gegen den Wasserwiderstand anlaufen, da dies die Entzündung verschlimmern kann.
Epileptiker und Geriatriker sollten nur mit Vorsicht auf das Unterwasserlaufband und dabei durch geschultes Personal gut überwacht werden.
Schwimmen
Auch das Schwimmen kann gut genutzt werden, um vor allem neurologische, aber auch orthopädische Patienten wieder auf Kurs zu bekommen. Die Indikationsliste ähnelt also stark den Indikationen für den Einsatz des Hydrotrainers. Beim Schwimmen werden die Rückenmuskeln noch intensiver trainiert als auf dem Hydrotrainer. Doch VORSICHT! Neurologisch noch stark beeinträchtigte Tiere sollten nur mit Schwimmweste und Assistenz ins Wasser gehen. Die Schwimmbewegungen unterscheiden sich von den Gehbewegungen, daher ist Schwimmen nicht zur Gangschulung geeignet. Nichtsdestotrotz kann das Schwimmen zum Muskelaufbau und zur Erhöhung der Range-of-Motion (ROM, Gelenkbeweglichkeit) eingesetzt werden. Für die Schwimmtherapie eignet sich neben einem professionellen Therapie-Schwimmbecken für Hunde auch das Schwimmen im freien Gewässer (Seen oder kleineren Teichen) oder dem hauseigenen Gartenswimmingpool.
Kontraindikationen für Schwimmtherapie:
Beim Schwimmen wird vor allem das Ellenbogengelenk stark belastet, daher sollten Patienten mit latenten oder klinisch manifesten Ellenbogenpathologien nicht zum Schwimmen animiert werden. Auch bei akuten Schmerzen im Rückenbereich (Diskopathien, Lumbago) ist vom Schwimmen vorerst abzuraten. Dies sollte erst nach dem akuten Stadium zur Reha genutzt werden. Weiterhin sind Halswirbelsäulenpathologien jeglicher Art eine Kontraindikation, da der Kopf und Hals beim Schwimmen stark angehoben werden muss, dies kann zu einer deutlichen Verschlechterung der Symptomatik führen.
Vorsicht ist bei Epileptikern geboten sein. In der Humanmedizin ist bekannt, dass Schwimmen epileptische Anfälle triggern kann. Es kam sogar zu Todesfällen! Der Mechanismus dahinter ist nicht komplett bekannt, hat aber vermutlich mit den geänderten Druckverhältnissen (Kompressionsdruck) auf den Körper und die Gefäße zu tun. Dies könnte auch bei unseren tierischen Epileptikern auftreten.
Ebenfalls Vorsicht geboten ist bei geriatrischen Patienten und Welpen unter 5 Monaten. Letztere neigen zum Auskühlen. Bei ersteren kann der Wasserdruck und der Druck auf die Gefäße Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System auslösen. Außerdem ist Schwimmen sehr intensiv und kann Geriatriker überfordern.
Wassertreten
Wassertreten stellt eine super Alternative für alle Patienten dar, die entweder nicht schwimmen können/ wollen oder dürfen oder bei denen es aus finanziellen Aspekten oder aufgrund fehlender Erreichbarkeit von Einrichtungen mit Hydrotrainern nicht möglich ist, mit dem Aquatrainer bzw. Unterwasserlaufband zu trainieren. Die aktiven Bewegungsübungen im Wasser haben den Vorteil, dass der Körper leichter ist als an Land und somit die Gelenke und die Muskulatur entlastet werden. Es sollte auf einen problemlosen Einstieg ins Wasser und auf einen sicheren Untergrund geachtet werden. Die Wasserhöhe sollte optimal bauch- bis hüfthoch sein, so dass der Hund noch nicht schwimmen muss. Doch auch weniger tiefes Wasser hat bereits einen positiven Effekt. Der Besitzer sollte gemeinsam mit seinem Hund ins Wasser steigen und der Hund sollte optimaler Weise im Schritt an der Leine geführt werden. Die Länge der Einheiten muss an den Trainingszustand des Hundes und die zugrunde liegende Erkrankung angepasst werden.
Katzen und Aquatherapie?
Hartnäckig hält sich die Meinung, dass Katzen wasserscheu sind. Doch dies kann man pauschal so nicht sagen. Natürlich gibt es auch deutlich wasserscheue Exemplare, aber besonders einige Rassekatzen wie Türkisch-Van, Maine Coon, Norwegische Waldkatze, Thaikatze oder Bengale sind überwiegend wasserliebend. Mit diesen Katzen lässt sich auch gut im Unterwasserlaufband trainieren oder sogar ein Bad im nahe gelegenen See ist möglich. Dabei gelten dieselben Indikationen und Kontraindikationen wie bei oben bereits beschrieben.
Abb. 3: Thaikatze beim Schwimmen im See. Einige Katzenrassen sind wasserliebend und lassen sich daher auch für Aquatherapie begeistern.
Zum Weiterlesen:
[1] Barbara Bockstahler, Kathleen Wittek, David Levine, Johann Maierl, Darryl Millis (2022): Physikalische Medizin, Rehabilitation und Sportmedizin auf den Punkt gebracht – Ein Leitfaden für die Kleintierpraxis (2. Auflage). VBS-Verlag.
[2] Challande-Kathmann (2021): Rehabilitation und Physiotherapie bei Hund und Katze (2. Auflage). Schlütersche Verlagsgesellschaft.
[3] Cécile-Simone Alexander (2019): Laufbandtraining und Hydrotherapie – Grundlagen und Trainingskonzepte für Hunde. Schlütersche Verlagsgesellschaft.
[4] J. Schweizer, A. Holst, A. Bolling, O. Harms (2022): Physikalische Medizin und Rehabilitation: Übersicht und Literaturrückblick. Kleintierpraxis 67, Heft 06/2022, S 316-338.
[5] Hodgson H, Blake S, de Godoy RF. A study using a canine hydrotherapy treadmill at five different conditions to kinematically assess range of motion of the thoracolumbar spine in dogs. Vet Med Sci. 2023 Jan;9(1):119-125. doi: 10.1002/vms3.1067.
[6] Bliss M, Terry J, de Godoy RF. Limbs kinematics of dogs exercising at different water levels on the underwater treadmill. Vet Med Sci. 2022 Nov;8(6):2374-2381. doi: 10.1002/vms3.947.
[7] Miyata T, Kawai S, Yasuki A, Ishioka K. Changes in physiological parameters in healthy dogs on an underwater treadmill when the water level is set at the hip joint. Res Vet Sci. 2023 Aug;161:20-22. doi: 10.1016/j.rvsc.2023.05.013.
[8] Mojarradi A, De Decker S, Bäckström C, Bergknut N. Safety of early postoperative hydrotherapy in dogs undergoing thoracolumbar hemilaminectomy. J Small Anim Pract. 2021 Dec;62(12):1062-1069. doi: 10.1111/jsap.13412