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08 Mär 2024

Rehabilitationsmedizin: Damit es wieder besser läuft! - Physiotherapeutische Empfehlungen für Patienten nach thorakolumbalem Bandscheibenvorfall

Rehabilitationsmedizin: Damit es wieder besser läuft! - Physiotherapeutische Empfehlungen für Patienten nach thorakolumbalem Bandscheibenvorfall
Hunde und Katzen mit neurologischen Ausfällen der Hintergliedmaßen aufgrund von Bandscheibenproblematiken profitieren von physiotherapeutischen Übungen in der Rekonvaleszenzzeit. So wurde in Studien festgestellt, dass das Wiedererlangen der motorischen Funktion der Hintergliedmaße bei Hunden nach einer dekompressiven Wirbelsäulenchirurgie mit physiotherapeutischer Behandlung im Vergleich zu Patienten, die keine Physiotherapie erhielten, verkürzt ist und die Muskelatrophie bei den mit Physiotherapie behandelten Patienten reduziert werden konnte. Daher wird sowohl bei Patienten nach dekompressiver Wirbelsäulenchirurgie, als auch bei Patienten, bei denen ein konservativer Therapieversuch, bestehend aus strikter Ruhighaltung in Kombination mit adäquatem Schmerzmanagement (empfohlen: NSAID + Pregabalin/ Gabapentin) und Harnabsatzkontrolle, durchgeführt wird, eine begleitende physiotherapeutische Behandlung der Patienten empfohlen.

Natürlich ist jeder Patient unterschiedlich und das optimale Physiotherapieprogramm ist auch von bereits vorhandenen Vorerkrankungen und Begleiterkrankungen zum Bandscheibenvorfall abhängig, weswegen kein „Schema F“ auf alle Patienten stur übertragen werden kann. Vielmehr muss patientenindividuell angepasst werden und auch bestimmte Vorlieben (oder auch Abneigungen) des Hundes oder der Katze sollten Berücksichtigung im Therapieplan finden. Trotzdem möchte ich versuchen hier einen kleinen Einblick in sinnvolle Möglichkeiten zur Rehabilitation bei Bandscheibenpatienten zu geben.

 

Hierfür muss zuerst der Status des Patienten evaluiert werden. Nach dem modifizierten Frankel Score werden 5 Grade bei Bandscheibenpatienten unterschieden:

  1. Nur Dolenz, keine neurologischen Ausfälle
  2. Gehfähige Paraparese (+/- Ataxie, mehr als 10 zusammenhängende Schritte ohne Hilfe gehfähig)
  3. Nicht-gehfähige Paraparese (Motorik gut sichtbar bis nur noch sehr mild vorhanden)
  4. Paraplegie mit erhaltener Tiefenschmerzwahrnehmung (keine Eigenmotorik mehr vorhanden)
  5. Paraplegie ohne erhaltener Tiefenschmerzwahrnehmung

Weiterhin sollte die Lokalisation des Bandscheibenvorfalles Berücksichtigung finden. Bei einem Bandscheibenvorfall im Bereich zwischen Th3 und L3 Rückenmarkssegment sind die segmentalen Reflexe der Hintergliedmaßen (z.B. Patellarsehnenreflex, Musculus tibialis cranialis-Reflex, Flexorreflex) unbeeinträchtigt und die Tiere zeigen einen normalen bis erhöhten Muskeltonus der Hintergliedmaßenmuskulatur. Beeinträchtigt der Bandscheibenvorfall die Rückenmarkssegmente L4 bis S3 sind die segmentalen Reflexe der Hintergliedmaßen meist reduziert bis ausgefallen und die Patienten zeigen einen verminderten, schlaffen Muskeltonus der Hintergliedmaßen.

 

Warum ist dies wichtig für die Physiotherapie des Patienten?

So sollten z.B. Patienten mit schlaffem Muskeltonus zusätzlich Anwendungen und Übungen erhalten, die tonisierend auf die Muskulatur wirken und bei erhöhtem Muskeltonus können entspannende Techniken vorteilhaft sein. Zudem können mit bereits gehfähigen Patienten andere Übungen durchgeführt werden, als bei Tieren, die noch keine Eigenmotorik zeigen.

 

Die allgemeinen Therapieziele bei einem Patienten nach thorakolumbalem Bandscheibenvorfall sind:

  1. Schmerzreduktion
  2. Erhalt der Gelenks-, Bänder- und Sehnenfunktion
  3. Hemmung Muskelabbau und anschließend Muskelaufbau, Förderung der Eigenmotorik
  4. Förderung der Nervenfunktion/ -leitung
  5. Verbesserung der Koordination und Feinwahrnehmung/ Propriozeptionsschulung

Diese Ziele haben bei jedem Patienten in Abhängigkeit vom Neurostatus und eventuellen Begleiterkrankungen unterschiedliche Wichtungen, was zum patientenindividuellen Therapieplan führt. Im nachfolgenden werden exemplarisch einige Optionen zum Erreichen der Therapieziele erläutert.

Zur Schmerzreduktion können zum Beispiel eingesetzt werden:

  1. Massagetechniken wie Streichung (Effleurage) und sanfte Knetung (Petrissage)
  2. Thermische Therapie: Wärmebehandlung
  3. TENS-Behandlung
  4. Laserbehandlung

Zum Erhalt der Funktionen der Bänder- und Sehnen, sowie zur Erhaltung der Gelenksfunktion und -ernährung können genutzt werden:

  1. Passive Bewegungstherapie – passive Gelenksbewegung (pROM)
  2. Passive Bewegungstherapie – Radfahrübung
  3. Vorsichtiges Stretching

Zur Hemmung des Muskelabbaus und anschließendem Muskelaufbau können folgende Modalitäten je nach Neurostatus des Patienten sinnvoll sein:

  1. Flexorreflex auslösen
  2. EMS – Elektrische Muskelstimulation
  3. Unterwasserlaufband
  4. Aktive Bewegungstherapie – Krafttraining/ Konditionstraining
  5. Isometrische Übungen
  6. Übungen mit Wackelkissen/ Balanceboard

Die Nervenfunktion kann gefördert werden mit:

  1. Nervenstimulation durch Bürstung der Ballen
  2. Nervenstimulation durch Flexorreflexübung
  3. TENS
  4. Nervenstimulation durch unterschiedliche Untergründe (Laufen auf Sand/ Kies/ im flachen Wasser/ Schnee/ hohes Gras/ Waldboden/ …)

Verbesserung der Feinwahrnehmung und Koordination:

  1. Isometrische Übungen ohne und mit Wackelkissen
  2. Laufen über unterschiedliche Untergründe
  3. Balanceboard/ Imoove
  4. Laufen über Stöcke/ Besenstiele/ umgelegte Leiter/ Cavalettitraining (in Abhängigkeit von Größe des Hundes)
  5. Unterwasserlaufband

Wie man sieht, haben viele Modalitäten mehr als nur einen Nutzen und man kann teilweise mit einer Modalität oder Übungen an mehreren Therapiezielen arbeiten.

 

bild1

Abbildung A-C: Durch Übungen auf dem Wackelkissen können bei Patienten nach thorakolumbalem Bandscheibenvorfall gleich mehrere Therapieziele erreicht werden. Neben der Kräftigung der Muskulatur und dem Muskelaufbau der Körper-stabilisierenden Muskulatur durch isometrische Übungen auf wackeligen/ weichen Unterlagen, werden auch die Feinwahrnehmung und Koordination der Patienten verbessert (Propriozeptionstraining). Hierfür können die Patienten zuerst mit den Hintergliedmaßen auf das Wackelkissen gestellt werden (Bild A). Im Stand können durch das vorsichtige wechselseitige Anschieben im Bereich der Hüfte die Übung intensiviert werden. Auch Dreibeinstand, bei dem ein Bein hochgehoben wird, ist möglich. Genauso vorteilig ist der Einsatz des Wackelkissens unter den Vordergliedmaßen (Bild B). Auch hier kann durch vorsichtiges wechselseitiges Anschieben im Bereich der Schulter die Übung intensiviert werden. Für ein gleichzeitiges Training aller vier Gliedmaßen können mehrere Wackelkissen kombiniert oder auch ein Balancekissen (Bild C) eingesetzt werden. Für große Hunde lassen sich auch Luftmatratzen aus reißfestem Material zweckentfremden. Einsatzmöglichkeiten sind zum Beispiel darüber laufen, isometrische Übungen im Stand, Dreibeinstand und Pfötchen geben vorne.

 

 

Doch wie sieht das nun konkret am Beispielpatienten aus?

Beispiel 1: 4-jährige Französische Bulldogge mit Paraplegie ohne Tiefenschmerzwahrnehmung, reduzierte bis ausgefallene segmentale Reflexe der Hintergliedmaßen (neuroanatomische Lokalisation: L4-S3 Myelopathie), MRT: akute Diskopathie (Hansen Typ 1) mit spinaler Blutung L4-6 vorwiegend rechtsseitig, teils ventral des Myelons gelegen; chirurgische Versorgung: Serienhemilaminektomie L4-6 rechts mit Entfernung des vorgefallenen Bandscheibenvorfalls und des spinalen Hämatoms, post OP unveränderter Neurostatus, Harnabsatz fraglich kontrolliert.

Therapieplan Physiotherapie:

Bei diesem Patienten steht neben der Schmerzreduktion vor allem die Förderung der Nervenfunktion und Erhöhung des Muskeltonus im Vordergrund. Weiterhin müssen die Funktion der Sehnen, Bänder und Gelenke erhalten werden.

Zur Schmerzreduktion können zusätzlich zu den Medikamenten eine paraspinale Laserbehandlung mit therapeutischen Lasern der Klasse 4 oder eine paraspinale TENS-Behandlung durchgeführt werden. Auch schmerzlindernde Massage (Streichung (Effleurage), milde Knetung (Petrissage)) können vorsichtig und mit Bedacht angewandt werden. Im Bereich der Oberschenkelmuskulatur kann eine mittelkräftige Klopfung (Tapotement) der Muskulatur tonisierend wirken.

Zur Förderung der Nervenfunktion können mit einer Handbürste die Ballen der Hintergliedmaßen massiert werden, was kleine Nervenfasern im Bereich des Ballens stimuliert. Außerdem kann durch vorsichtiges Kneifen in den Zwischenzehenbereich der Flexorreflex an den Hintergliedmaßen ausgelöst werden. Dieser wird vermutlich zu Beginn weiterhin vermindert bis ausgefallen sein, sollte aber durch fortwährende Stimulation und mit zunehmender Regeneration über die nächsten Wochen an Stärke gewinnen. Zusätzlich hat die Auslösung dieses Reflexbogens den Vorteil, dass die Muskulatur aktiv angespannt wird, was der Muskelatrophie in gewissem Maße entgegen wirken kann. Um der schnell fortschreitende Muskelatrophie der Hintergliedmaßenmuskulatur zusätzlich entgegen zu wirken, kann zudem Elektrosimulation als EMS im Bereich der Oberschenkelmuskulatur (z.B. M. quadriceps femoris) angewandt werden.

Da noch keine Eigenbewegungen des Patienten möglich sind, sollten alle Gelenke der Hintergliedmaßen mehrmals (mindestens 2 bis 3-mal täglich) mehrfach gebeugt und gestreckt werden. Damit wird die Ernährung der Gelenkknorpel, sowie die Mobilität der Sehnen und Bänder aufrechterhalten und Verkürzungen entgegen gewirkt. Hierbei ist es wichtig, die Knochen möglichst gelenknah zu greifen, damit eine kontrollierte Bewegung der Gelenke möglich ist. Zusätzlich können Radfahrbewegungen der Hintergliedmaßen durchgeführt werden, was ebenfalls einer Verkürzung der Sehnen, Bänder und Muskeln entgegenwirkt und zur Erhalt der Gelenkfunktion beiträgt. Durch den permanenten Kontakt der Hand mit dem Ballen während der Radfahrbewegung wird zusätzlich die Nervenfunktion stimuliert.

Letztlich sollten Stehübungen und einfache Gehübungen unter Nutzung einer Gehhilfe durchgeführt werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Pfoten richtig auf dem Ballen stehen. Diese Stehübungen können auch auf einem Trampolin durchgeführt werden. Durch rhythmische bouncende Bewegungen kann damit der Tonus der Hintergliedmaßenmuskulatur erhöht und verbessert werden.

Auch das Unterwasserlaufband kann bereits frühzeitig eingesetzt werden. Nach meiner persönlichen Meinung sollte gewartet werden bis die OP-Wunde verheilt und die Fäden gezogen wurden, also etwa ab 14 Tage post OP. Durch den Auftrieb des Wassers und die zusätzliche Möglichkeit die Patienten in einem Geschirr einzuhängen, können durch das Laufband unter Wasser erste Gehbewegungen induziert und trainiert werden. Mithilfe intensivem Unterwasserlaufbandtrainings und zusätzlichen physiotherapeutischen Übungen können selbst Patienten, deren Rückenmarksschädigung so gravierend war, dass sie keine Tiefenschmerzwahrnehmung mehr zurückgewinnen, unkontrollierte Eigenmotorik entwickeln. Diese Bewegungen nennt man „Spinal Walking“, da sie vom Reflexzentrum im Rückenmark induziert und nicht vom Gehirn aus koordiniert werden. Damit können einige Patienten unter Umständen wieder laufen (auch wenn dies meist etwas komisch aussieht) ohne dass sie ihre Hintergliedmaßen fühlen oder die Eigenmotorik willentlich und bewusst kontrollieren und koordinieren können.

 

 

Beispiel 2: 6-jähriger Dackelrüde mit akuter Lähmung der Hintergliedmaßen, initial Paraplegie mit erhaltenem Tiefenschmerz und normalen segmentalen Reflexen (neuroanatomische Lokalisation: T3-L3 Myelopathie), MRT: akute Diskusextrusion (Hansen Typ 1) Th12/13 linksseitig lateralisiert, chirurgische Versorgung: Hemilaminektomie Th12/13 links, post OP nicht-gehfähige Paraparese mit moderater Motorik beidseits und gutem bis geringgradig erhöhtem Muskeltonus der Hintergliedmaßen, selbstständiger Harnabsatz.

Therapieplan Physiotherapie: 

Zur Schmerzreduktion können neben der medikamentellen Therapie wie im ersten Beispiel therapeutische Laseranwendungen, paraspinale TENS, sowie tägliche sanfte Massagen genutzt werden. Sollte der Tonus der Hintergliedmaßenmuskualtur zur Spastik neigen, können sanfte Klopfungen (Tapotement) der Oberschenkelmuskulatur oder auch die Schüttelung (Vibration) der Hintergliedmaßen detonisierend wirken.

Auch in diesem Fall sollten vor allem in der initialen Ruhighaltungsphase von 3 bis 4 Wochen post OP noch passive Bewegungsübungen mehrfach täglich durchgeführt werden. Sowohl das mehrfach tägliche passive Bewegen aller Gelenke der Hintergliedmaßen, als auch die Radfahrübung sollten verordnet werden, da der Patient seine Beine zwar schon selbst etwas willkürlich bewegt, dies aber für die Aufrechterhaltung der Gelenkknorpelernährung und der Erhaltung der Funktionalität von Sehnen, Bändern und Muskeln bei Weitem noch nicht ausreichend ist.

Auch wenn (oder gerade weil) der Flexorreflex in diesem Patienten normal ist, kann dieser gut zur Nervenstimulation genutzt und durch die Muskelkontraktion zur Muskelarbeit eingesetzt werden. Die Besitzer können weiterhin 2- bis 3-mal täglich mit einer Handbürste oder einem Igelball die Ballen zur Stimulation massieren.

Da die Patienten mit hohem Muskeltonus der Hintergliedmaßen oft schon früh selbstständig stehfähig sind, können hier erste vorsichtige isometrische Übungen im Stand begonnen werden. Hierfür wird der Patient mit einer Hand leicht unterstützt, damit er nicht umfällt oder in sich zusammensackt und anschließend wird mit der anderen Hand im Bereich der Hüfte vorsichtig die Last in Richtung der gegenüberliegenden Hintergliedmaße verschoben und kurz gehalten (20 bis 30 Sekunden). Nach einer kleinen Pause wird in die andere Richtung verschoben. Wenn der Patient selbstständig und sicher stehen kann, kann die Unterstützung weniger werden und die Lastverschiebungen können auch im Bereich der Schulter erfolgen. Mit zunehmendem Trainingsstand und verbessertem Neurostatus können die Impulse der Gewichtsverlagerung in Intensität und Dauer variiert werden. Diese Übung dient neben der Propriozeptionsschulung vor allem dem Muskelaufbau der kleinen Muskeln entlang der Wirbelsäule (Musculi multifidi). Sie tragen in erheblichem Maße zur Wirbelsäulenstabilität bei. 

Einfache Steh- und Gehübungen mit Gehhilfe sollten täglich mehrfach (etwa 4- bis 5-mal täglich maximal 10 Minuten) durchgeführt werden. Hier wird sich in den kommenden Wochen voraussichtlich eine deutliche Besserung einstellen, sodass der Patient in der Regel nach etwa 3 bis 4 Wochen allein gehfähig ist, auch wenn meist noch deutlich ataktisch. Wenn das Tier gute Gehbewegungen zeigt, kann nach und nach immer mehr Last übergeben werden, in dem die Unterstützung über die Gehhilfe immer weniger dosiert wird. Manchmal ist es hilfreich die Gehhilfe dann in einen dünnen Schal oder eine zweite Hundeleine zu wechseln, die unter dem Bauch durchgeführt wird. Damit wird kaum noch Gewicht abgenommen, aber das starke Ausschwanken und gegebenenfalls Umkippen des Hinterteils, das für die noch frisch operierte Wirbelsäule ungünstig ist, kann damit sehr effektiv unterbunden werden.

Auch bei diesem Patient kann mit kurzen Unterwasserlaufbandeinheiten ab etwa 14 Tage post OP begonnen werden, wobei man schnell eine deutliche Besserung im Neurostatus erkennen wird.

Nach etwa 4 Wochen, wenn der Hund wieder selbstständig gehfähig ist, kann mit einer langsamen Belastungssteigerung begonnen werden. Hierbei empfiehlt sich etwa 5 Minuten pro Woche Bewegungsumfang pro Gassieinheit zu steigern. Es sollte weiterhin Wert auf ausschließlich kontrollierte Bewegung an der Leine gelegt werden. Zur Steigerung des propriozeptiven Trainings können nun Wackelkissen oder Balancepads mit hinzugenommen und darauf isometrische Übungen durchgeführt werden. Dem Heilungsverlauf entsprechend können nun immer komplexere Übungen zur Schulung der Propriozeption und zum Muskelaufbau angewendet werden (siehe Patient 3).   

 

Beispiel 3: 11-jähriger Schäferhund mit Kyphose und deutlicher Dolenz am thorakolumbalem Übergang, Gangbild mit milder Ataxie und Paraparese, verminderte Propriozeption der Hintergliedmaßen, segmentale Reflexe unauffällig (neuroanatomische Lokalisation: T3-L3 Myelopathie). MRT: chronischer Bandscheibenprotrusion (Hansen Typ 2) Th13/L1; Besitzer entscheiden sich aufgrund des fortgeschrittenen Alters, den noch milden neurologischen Ausfällen und den Kosten bei einer Operation für eine konservativen Therapieversuch. Der Hund erhält ein NSAID (z.B. Robenacoxib 1-2mg/kg SID über 7 Tage) in Kombination mit Pregabalin (3mg/kg BID) über 14 (-21) Tage und eine strikten Ruhighaltung über 4-6 Wochen, bei der nur kontrollierte Bewegung durchgeführt werden dürfen.

 

Therapieplan Physiotherapie:

Bei diesem Patienten steht vor allem die Schmerzreduktion und im zweiten Schritt die Verbesserung der Propriozeption und der Muskelaufbau im Vordergrund der Therapie.

Zur Schmerzreduktion können neben den bereits oben angesprochenen Modalitäten wie Laserbehandlung und TENS, vor allem spannungslösende Massagen nach Thermotherapie (Wärme für 10 Minuten z.B. durch Auflage eines Kirschkern- oder Hirsekissens) sinnvoll und lindernd sein. Auch eine Akupunkturbehandlung eines solchen chronischen Schmerzpatienten sollte in Erwägung gezogen werden.

In der ersten initialen Ruhephase (etwa ersten 4 Wochen) sollten nur kurze (ca. 10 bis maximal 15 Minuten) kontrollierte Spaziergänge im „Slow Walk“ (langsamer und korrekter Schrittgang) durchgeführt werden. Zudem können tägliche kurze Einheiten von isometrische Übungen im Stand zur Kräftigung der paraspinalen Muskulatur beitragen.  

Zum weiteren Muskelaufbau können kurze Einheiten im Unterwasserlaufband hilfreich sein, die sich Woche um Woche langsam steigern können.

Sofern in den ersten 4 Wochen eine Besserung der Schmerzhaftigkeit und des Gangbildes des Hundes eingetreten ist, kann nun vorsichtig der tägliche Bewegungsumfang gesteigert werden (etwa 5 Minuten pro Woche). Zur Kräftigung der Hintergliedmaßenmuskulatur empfehlen sich kurze Strecken Bergauflaufen. Zudem können die isometrischen Übungen nun auf Balancepads oder Wackelkissen durchgeführt werden. Hier sollte die Muskelanstrengung nicht unterschätzt werden, weswegen mit kleinen und kurzen Einheiten begonnen und auch genügend Erholungspausen eingeplant werden sollten. Die Patienten können sowohl mit den Hintergliedmaßen auf den Wackelelementen stehen, als auch abwechselnd mit den Vordergliedmaßen. Im fortgeschrittenen Rekonvaleszenzstadium können auch alle vier Gliedmaßen auf Wackelelementen stehen oder es kann ein Balanceboard zum Einsatz kommen, mit dem rhythmische Bewegungen durchgeführt werden können.

Diese Übungen (Wackelkissen, Balancepads, Balanceboard) dienen nicht nur dem Muskelaufbau, sondern nützen gleichzeitig zur Propriozeptionsschulung. Zudem können den Besitzern zum Training der Propriozeption Spaziergänge über unterschiedliche Untergründe, wie Waldboden, Kies, Sand, hohes Gras oder im flachen Gewässer, empfohlen werden. Je nach Entwicklung des Hundes kann zudem niedrige Cavalettiarbeit/ Hürdenarbeit (Höhe so, dass darüber gestiegen und nicht gesprungen wird; bei kleinen Patienten wie Dackeln oder Franz. Bulldoggen funktioniert auch eine liegende Leiter sehr gut) bei der Propriozeptionsschulung hilfreich sein. Damit kann auch die Schrittlänge trainiert und Muskulatur wieder aufgebaut werden. Auch Slalomübungen oder Achtertouren laufen sind für die Förderung der Wirbelsäulenbeweglichkeit und zum Muskeltraining sinnvoll.  

 

Welche Tipps können den Tierbesitzern für ein langfristiges Management der Diskopathie-Patienten mit an die Hand gegeben werden?

Um den Erfolg der Therapie möglichst nachhaltig zu unterstützen, sollten so weit wie möglich Modifikationen der Umgebung des Tieres, also der Wohnung oder des Hauses, an die Bedürfnisse des Patienten vorgenommen werden. Es empfehlen sich rutschfeste Böden bzw. die Nutzung von Anti-Rutsch-Elementen bei Fliesen- oder Laminatböden, um den Patienten Sicherheit im Gang zu geben, sowie Treppenschutzgitter, um das unbeobachtete Treppensteigen zu unterbinden.  Die Liegeplätze sollten warm und so weich sein, dass der Patient ohne Probleme aufstehen kann. Zum Aufstieg auf das Sofa oder Bett bietet sich die Nutzung einer kleinen Treppe oder Rampe an, um das Auf- und Abspringen zu verhindern. Genauso sollte das Springen in bzw. aus dem Auto zwingend vermieden werden. Kleine Patienten werden am besten gehoben und für große Hund bietet sich das Ein- und Aussteigen über eine Rampe an. Ähnlich verhält es sich mit dem Treppensteigen: Sofern möglich, sollte übermäßiges Treppensteigen vermieden werden und zum Beispiel ein Aufzug genutzt werden. Kleinere Patienten können meist getragen werden. Bei großen Patienten ist das Treppensteigen unter Umständen nicht immer vermeidbar. In diesem Fall sollte zur Unterstützung bzw. zur Sicherheit eine Gehhilfe oder ein Schal um den Bauch helfen, damit im Falle eines Fehltrittes keine Unfälle passieren. Das Treppensteigen sollte zuvor langsam über einige wenige Treppen (3 bis 5 Stufen) wieder angewöhnt und trainiert werden, bevor größere Treppen erklommen werden.

Außerdem raten wir dazu bei allen Patienten mit Wirbelsäulenproblemen künftig nur noch ein Brustgeschirr anstatt eines Halsbandes zu verwenden.   

Zusätzlich sollte auf die Futtermenge und Ernährung geachtet werden. Aufgrund von Bewegungsmangel neigen viele Patienten zu Übergewicht, welches sich wiederum negativ auf die Gelenke, die Wirbelsäule und den Bewegungsumfang auswirkt.

Mit Hilfe von regelmäßigen Physiotherapiesitzungen soll das Erreichte erhalten bleiben und so die Lebensqualität möglichst langfristig gesteigert werden. Auch werden Verschlechterungen so frühzeitig erkannt und es kann mit gezielten Übungen entgegengewirkt werden. Hierbei empfiehlt sich eine Kontrolle des Hundes in größeren Abständen bei einem geschulten Tierphysiotherapeuten. Noch wichtiger allerdings als der Besuch bei einem geschulten Physiotherapeuten ist es, dass Sie auch nach vermeintlich vollständiger Erholung Ihres Tieres weiterhin Übungen durchführen. Der Schwerpunkt sollte vor allem im Bereich Muskelaufbau liegen, denn eine gute und kräftige Rückenmuskulatur kann für die bereits vorgeschädigte Wirbelsäule schützend und stabilisierend wirken.

Extremsituationen wie schnelles Rennen, Springen und massives Toben sollten jedoch vermieden werden. Besser ist es kontrollierte Übungen durchzuführen und Extrembelastungen zu entschärfen! Das heißt nicht, dass Ihr Tier nicht auch einen Ball hinterherlaufen darf, allerdings sollten dieser nicht mehr geworfen, sondern gerollt werden. So beschleunigt das Tier nicht so schnell und stoppt nicht abrupt ab, was besser für die Wirbelsäule und die Bandscheiben ist. Zerrspiele (mit Stöcken, Seilen oder Kuscheltieren) sollten bei Patienten mit Halswirbelsäulenprobleme zukünftig allerdings komplett vermieden werden.

 

 

Zum Weiterlesen:

  •  Gallucci, Antonella et al. (2021): Outcome in cats with acute onset of severe thoracolumbar spinal cord injury following physical rehabilitation. Vet Sci 8:01-11.
  • Zidan, Natalia et al. (2018): A randomized, blinded, prospective clinical trial of postoperative rehabilitation in dogs after surgical decompression of acute thoracolumbar intervertebral disc herniation. J Vet Intern Med 32:1133-1144.
  • Mojarradi, A. et al. (2012): Safety of early postoperative hydrotherapy in dogs undergoing thoracolumbar hemilaminectomy. J Small Anim Pract 01-08.
  • Sedlacek, Jordan et al. (2022): Nonsurgical rehabilitation in dachshunds with T3-L3 myelopathy: Prognosis and rates of recurrence. Front Vet Sci 9: 01-08.
  • Barbara Bockstahler, Kathleen Wittek, David Levine, Johann Maierl, Darryl Millis (2022): Physikalische Medizin, Rehabilitation und Sportmedizin auf den Punkt gebracht – Ein Leitfaden für die Kleintierpraxis (2. Auflage). VBS-Verlag.
  • Challande-Kathmann (2021): Rehabilitation und Physiotherapie bei Hund und Katze

(2. Auflage). Schlütersche Verlagsgesellschaft.

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