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29 Nov. 2023

Notfallmedizin: Management von Intoxikationen bei Hund und Katze – Teil 2: Spezielle Intoxikationen mit humanmedizinischen Medikamenten

Notfallmedizin: Management von Intoxikationen bei Hund und Katze – Teil 2: Spezielle Intoxikationen mit humanmedizinischen Medikamenten

Zu Intoxikationen unserer Kleintiere mit humanmedizinischen Medikamenten kann es aus verschiedenen Gründen kommen: Manchmal plündern unsere liebsten Vierbeiner frech das Tablettenschränkchen, obwohl sie sonst wirklich jede Wurmkurtablette aus dem Leberwurstleckerchen aussortieren, oder es wird die eigene Medikation des Besitzers versehentlich mit der Dauermedikation des tierischen Lieblings verwechselt. Dann gibt es leider noch die gar nicht so seltenen Fälle, in denen die Besitzer die humanmedizinischen Medikamente mit den besten Absichten bewusst verabreichen, weil sie ihrem Tier aufgrund von Schmerzen oder anderen Problem helfen wollten und sich nicht darüber im Klaren waren, dass sich der Stoffwechsel zwischen Menschen und den einzelnen Tierarten oft erheblich unterscheidet und somit die Medikamente nicht helfen, sondern teilweise fatale Folgen haben können.

Hier müssen wir als Tierärzte aktiv werden! Denn besser als jede Therapie ist natürlich die Prophylaxe! Die Aufklärung der Besitzer über die fatalen Folgen, die eine durch den Besitzer durchgeführte „Selbstmedikation“ des Haustieres nach sich ziehen kann, könnte einige Intoxikationsfälle vermeiden. Weiterhin sollten Tabletten immer unzugänglich für Tiere (und Kinder) aufbewahrt werden und die Tierhalter sollten sich vor jeder Tablettengabe versichern, dass die richtige Medikation in Art und Dosis verabreicht wird. Besonders  wenn mehrere Personen an der Medikamentengabe bei einem Tier beteiligt sind, sollten konkrete Absprachen getroffen werden. Hier können auch Medikamentenpläne zum Abkreuzen oder Tablettenboxen (mit Fächern für Wochentage und Tageszeiten (morgens/mittags/abends) helfen, damit der geliebte Vierbeiner nicht versehentlich eine doppelte Dosis des Medikamentes erhält, denn eine Überdosierung kann auch bei tiermedizinischen Präparaten zu Vergiftungen führen.    

Das Management der am häufigsten anzutreffenden Intoxikationen mit humanmedizinischen Medikamente bzw. Medikamentengruppen bei unseren Kleintieren  wird nachfolgend besprochen:

  • Ibuprofen und andere NSAIDs

Ibuprofen und andere NSAIDs sind generell häufig Ursache von Intoxikationen beim Kleintier. Dies liegt letztendlich sicherlich an der einfachen Verfügbarkeit (in niedrigen Dosierungen oft nicht rezeptpflichtig) und dem ubiquitärem Vorkommen der Medikamente in der Besitzerapotheke. 

NSAIDs hemmen die Zyklooxygenase und damit die Prostaglandin-Freisetzung und werden in der Humanmedizin wie in der Tiermedizin zur Entzündungshemmung, Fiebersenkung und zur Analgesie eingesetzt. Katzen sind empfindlicher gegenüber ASS (Acetylsalicylsäure) im Vergleich zu Hunden, die empfindlicher gegenüber Ibuprofen und Naproxen sind. In erster Linie führt eine Vergiftung mit NSAIDs zu gastrointestinalen Störungen, wie Erbrechen, Durchfall, Anorexie, abdominaler Dolenz, Meläna, sowie zu  Magenirritationen bis Magenulcera und gastrale Perforationen. Zudem wurden schwere Nierenschädigungen, eine idiosynkrastische Hepatotoxizität und zentralnervöse Störungen bei hohen Dosen berichtet.

Die Therapie besteht aus zeitnaher gastrointestinaler Dekontamination (Antiemese/ Magenspülung in Abhängigkeit von Schwere der Symptome und Zeitabstand zur Aufnahme, sowie Eingabe von Aktivkohle; siehe hierzu Teil 1 der Intoxikationsreihe) mit intravenöser Flüssigkeitstherapie, Antiemese und Gastroprotektion.  Besonders bei Ibuprofen könnte eine Lipidinfusion vorteilig sein, da Ibuprofen mit einem log P-Wert von um die 4 lipidlöslich ist. Zudem wurde therapeutischer Plasmaaustausch zur Therapie von NSAID Intoxikation in der Veterinärmedizin beschrieben.

 

  • Paracetamol

Der Wirkstoff in Paracetamol ist Acetaminophen und wird in der Humanmedizin zur Analgesie und Fiebersenkung eingesetzt. Auch Pracetamol kann rezeptfrei in der Apotheke erworben werden. Es wird von Katzen besonders schlecht vertragen, da diese aufgrund ihrer Glucoronidierungsschwäche und der limitierten Sulfatierungskapazität das Medikament besonders schlecht verstoffwechseln können. Somit hat bereits eine geringe Dosis von 10 mg/kg Paracetamol einen starken toxischen Effekt und kann zu einer Methämoglobinämie und in höheren Dosen von 50-100 mg/kg zum Leberversagen führen. Beim Hund zeigen sich ab Dosen von etwa 75 mg/kg erste toxische Effekte (Hepatotoxizität) und ab 200 mg/kg kommt es ebenfalls zur Methämoglobinämie. Symptome einer Vergiftung mit Paracetamol können sein: Übelkeit, Vomitus, abdominale Dolenz, Tachypnoe bis Dyspnoe, Zyanose, Hypothermie, periphere Ödeme, Hämolyse, Anämie, Ikterus, Pigmenturie, Depression, hepatoenzephales Syndrom, Tremor, Koma bis hin zum Tod.

Neben der bereits besprochenen allgemeinen dekontaminierenden und symptomatischen Therapie (forcierte Emese/ Magenspülung, Aktivkohle, Infusion), ist hier vor allem die Gabe des Antidots N-Acetylcystein, welches mit Paracetamol ungiftige Konjugate bildet, indiziert. In schweren Fällen sollte dies langsam intravenös erfolgen. Wenn N-Acetylcystein verabreicht wird, sollte auf die Gabe von Aktivkohle gegebenenfalls verzichtet werden, denn diese kann das Antidot binden und somit unwirksam machen.

Weiterhin wird der Einsatz von S-Adenosyl-L-Methionin zum Leberschutz und Ascorbinsäure  als Antioxidanz empfohlen. Im Falle einer  Methämogloinämie sollte Sauerstoff appliziert werden, gegebenenfalls kann eine Bluttransfusion notwendig werden.

 

  • Herzmedikamente und Blutdrucksenker

Neben Schmerzmitteln werden Herzmedikamente und Blutdrucksenker in deutschen Haushalten insgesamt gesehen mit am häufigsten eingenommen und sind daher auch eine potentielle Vergiftungsquelle für unsere Vierbeiner.

Calciumkanalblocker, die zur Therapie von Herzerkrankungen, Arrhythmien und Hypertension eingesetzt werden, sind aufgrund ihrer engen therapeutischen Breite sehr gefährlich für unsere Kleintiere.

Bei einer entsprechenden Vergiftung können die Tiere Depression, Vomitus, Diarrhoe, Hypotension, Bradykardie, AV-Blöcke (1. Bis 3. Grad), Anfallsaktivität und Atembeschwerden zeigen. Zudem zeigen viele Patienten eine Hyperglycämie durch Hemmung der Insulinfreisetzung der Beta-Zellen.

Bei der Therapie ist vor allem die Stabilisierung des Kreislaufs durch Infusionstherapie wichtig. Eine forcierte Emese oder Magenspülung sollte abgewogen und Aktivkohle eingegeben werden. Zudem sind Calciumkanalblocker eher lipophile Substanzen, sodass hier der Einsatz einer Lipidinfusion zur schnelleren Eliminierung des Wirkstoffs indiziert erscheint.  Eine Stabilisation des Blutdrucks kann mit Dopamin erfolgen. Bei Bradykardien und AV-Blöcken (2. oder 3. Grades) sollte Atropin verabreicht werden. Der Einsatz von ionotropen Wirkstoffen wie Dopamin oder Dobutamin kann vorteilig sein und sollte je nach Schwere der Intoxikation in Erwägung gezogen werden. Ebenfalls in schweren Fällen könnte eine langsame Calciuminfusion unter EKG-Kontrolle hilfreich sein.   

 

  • Loperamid

Loperamid ist ein Opioidrezeptor-Agonist, der in der Humanmedizin gegen Durchfallerkrankungen eingesetzt wird.  Vor allem Hunde mit einem MDR-1-Gendefekt, also zum Beispiel Collies oder Australian Shepherds mit entsprechendem Defekt und dem daraus resultierendem Wegfall der schützenden Funktion der Blut-Hirn-Schranke, kann Loperamid sehr gefährlich werden. Diese Hunde können bereits nach der Aufnahme therapeutischer Dosen des Medikaments starke zentralnervöse Ausfälle zeigen. Aber auch bei gesunden Hunden kann die Aufnahme von humanmedizinischen Loperamid-Tabletten zu Intoxikationserscheinungen führen. Diese sind vorwiegend zentralnervös mit Kopfpressen, Vokalisation, Mydriasis, Ataxie, Exzitationen, Kreislaufen und zentraler Blindheit. In schweren Fällen kann es zu akuten hämorrhagischen Durchfällen, Bradykardien, Bradypnoe, Hypothermie, Kollaps, Koma und Tod kommen. Neben der allgemeinen unspezifischen Intoxikationstherapie kann In schweren Fällen Naloxon als Antidot verabreicht werden. Dabei ist zu beachten, dass Loperamid länger wirkt als Naloxon, weswegen eine wiederholte Gabe nötig werden könnte.

 

  • Amphetamine

In diese Gruppe fallen zum einen Psychopharmaka, welche bei Depressionen und Antriebslosigkeit oder zur ADHS-Behandlung (z.B. Methylphenidat) eingesetzt werden, und zum anderen Drogen wie Speed, Ecstasy (MDMA) und Chrystal/ Meth (Methamphetamin).

Klassisch bei Amphetaminvergiftung ist eine erhöhte Unruhe und Erregbarkeit. Die Tiere sind oft hyperästhetisch und aggressiv, zeigen eine starke Tachykardie, Tremor, Ataxie, Kreislaufen, Vokalisation, Headbobbing und Mydriasis. In schweren Fällen auch epileptische Anfälle, Hypo- oder Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Kollaps, Depression und Koma. Das toxische Prinzip beruht auf einer vermehrten Freisetzung von Noradrenalin, Serotonin und Dopamin.

Nach der gewohnten allgemeinen Stabilisierung und Dekontamination sollte weiter symptomatisch therapiert werden. Zum Schutz der Nieren und zur Erhöhung der renalen Elimination sollte eine intravenöse Flüssigkeitstherapie erfolgen.

Da die Tiere oft hypertherm sind, müssen die Patienten gegebenenfalls gekühlt werden. Die Tiere zeigen zudem in der Blutgasanalyse oft eine Azidose, diese kann mit Bicarbonatinfusion ausgeglichen werden. Bei Arrhythmien oder starker Tachykardie sollte der Einsatz eines Betablockers erwogen werden.

Achtung ist geboten bei der Therapie von Krampfgeschehen ausgelöst durch Amphetamine! Diazepam ist bei Amphetamin-Intoxikationen kontrainduziert, da es paradoxer Weise die neurologischen Symptome verstärkt. Hier wird Acepromazin empfohlen, da dies die Dopamin-Freisetzung hemmt. Phenobarbital und Levetiracetam können wie gewohnt eingesetzt werden. Auch bei Amphetaminvergiftungen kann eine Lipidinfusion gegebenenfalls hilfreich sein.

 

  • Antidepressiva

Unter den Antidepressiva sind die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, die am häufigsten verschriebenen Medikamentengruppe. Sogar in der Tiermedizin nutzen wir einige davon, zum Beispiel "Clomicalm" (Clomipramin). Es wird gegen Trennungsängste, Unruhe, Verhaltensstörungen und Stereotypien beim Hund eingesetzt. Auch das humanmedizinische Medikament "Fluoxetin" nutzen wir in der veterinärmedizinischen Neurologie regelmäßig. So zeigen einige Hunde, die unter sogenannten paroxysmalen Dyskinesien (anfallsartige Bewegungsstörungen) leiden eine deutliche Besserung unter der täglichen Einnahme von Fluoxetin.

Dadurch, dass aber die Serotonin-Aufnahme durch diese Art von Medikamenten gehemmt wird, kommt es bei einer Vergiftung oder Überdosierung mit diesen Medikamenten schnell zum "Serotonin-Syndrom", welches mit autonomer Instabilität, verändertem Bewusstsein und Verhalten, Anfällen, Muskelsteifheit und schwerwiegenden Hyperthermien einhergehen kann. Zudem können auch gastrointestinale, kardiovaskuläre und respiratorische Symptome auftreten.

Die Therapie erfolgt symptomatisch und auch bei dieser Art von Vergiftung ist die Anwendung einer Lipidinfusion oft hilfreich, da die meisten Wirkstoffe deutlich lipidlöslich sind. In schweren Fällen sollte die Gabe von Cyproheptadin als Serotonin-Antagonist abgewogen werden.  

 

  • Baclofen

Baclofen ist ein zentrales Muskelrelaxans der Skelettmuskulatur. Es gibt zahlreiche Fallberichte über Intoxikation von Hunden und Katzen mit Baclofen, wobei bereits bei niedrigen Dosierungen (klinische Symptome bereits bei 0,7mg/kg, tödliche Dosen ab 2,3mg/kg) teils schwerwiegende Symptome auftreten, die durch eine zentrale Dämpfung ausgelöst werden. Es treten Depression, Salivation, Schwäche, Ataxie, Tremor, Mydriasis, Bradykardie, Hypothermie, Dyspnoe, Krämpfe, Koma und Tod auf. Die Therapie erfolgt rein symptomatisch, eine Lipidinfusion kann vorteilig sein.

 

  • Sedativa

Als Sedativa bei Angststörungen, Schlaflosigkeit und Panikattacken werden in der Humanmedizin häufig Benzodiazepine (wie Oxazepam) eingesetzt. Sie verbessern den inhibitorischen Effekt von GABA und wirken somit zentral dämpfend. Die Wirkung bei unseren Kleintieren tritt sehr schnell innerhalb der ersten 2 Stunden nach Aufnahme ein. Es muss mit Ataxie, Schläfrigkeit, Tremor, Vomitus, Hypothermie, Atemdepression und Koma gerechnet werden, wobei Jungtiere deutlich empfindlicher reagieren. In einigen Fällen können paradoxe Effekte mit Hyperästhesie, Hypersalivation, Hyperthermie und Aggression auftreten. Die Therapie erfolgt symptomatisch, auch hier kann eine Lipidinfusion zur schnelleren Wirkstoffelimination eingesetzt werden.

Ein weiteres humanmedizinisches Medikament, das regelmäßig gegen Schlafstörungen verschrieben wird ist Zolpidem. Es hemmt die neuronale Erregung durch die selektive Bindung an den GABA-Rezeptor und erhöht so die Frequenz der Chloridkanalöffnung. Es können sowohl Symptome durch die ZNS-Dämpfung, wie Ataxie, Desorientiertheit, Lethargie und Schwäche, als auch Symptome einer ZNS-Erregung, wie Hyperaktivität, Tremor, Hyperästhesie und Ängstlichkeit, auftreten. Weiterhin wurden Vomitus, Verhaltensänderungen. Keuchen, Hypersalivation, Vokalisation und Diarrhoe beobachtet. Die Therapie sollte symptomatisch erfolgen. Gegen Anzeichen einer Übererregbarkeit werden Phenothiazine wie Acepromazin empfohlen.

 

Zum Weiterlesen:

  • Hassdenteufel E, Lehmann H, Schneider M, Moritz A. Notfalltherapie bei Vergiftungen von Hund und Katze [Emergency management of intoxications in the dog and cat]. Tierarztl Prax Ausg K Kleintiere Heimtiere. 2016 Dec 5;44(6):438-449. German. doi: 10.15654/TPK-160889.
  • Cortinovis C, Pizzo F, Caloni F. Poisoning of dogs and cats by drugs intended for human use. Vet J. 2015 Jan;203(1):52-8. doi: 10.1016/j.tvjl.2014.11.004.
  • Chalifoux NV, Butty EM, Mauro KD, Moyle RB, Ehrhardt CM, Robertson JB, Labato MA, Culler CA, Londoño LA, Vigani A, Ueda Y, Suter SE, Lynch AM. Outcomes of 434 dogs with non-steroidal anti-inflammatory drug toxicosis treated with fluid therapy, lipid emulsion, or therapeutic plasma exchange. J Vet Intern Med. 2023 Jan;37(1):161-172. doi: 10.1111/jvim.16603.
  • Avizeh R, Najafzadeh H, Razijalali M, Shirali S. Evaluation of prophylactic and therapeutic effects of silymarin and N-acetylcysteine in acetaminophen-induced hepatotoxicity in cats. J Vet Pharmacol Ther. 2010 Feb;33(1):95-9. doi: 10.1111/j.1365-2885.2009.01100.x
  • Stern L, Schell M. Management of Attention-Deficit Disorder and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Drug Intoxication in Dogs and Cats: An Update. Vet Clin North Am Small Anim Pract. 2018 Nov;48(6):959-968. doi: 10.1016/j.cvsm.2018.07.007.
  • Khorzad R, Lee JA, Whelan M, Brutlag AG, Martin EP, Miyahara LT, Hovda LR. Baclofen toxicosis in dogs and cats: 145 cases (2004-2010). J Am Vet Med Assoc. 2012 Oct 15;241(8):1059-64. doi: 10.2460/javma.241.8.1059.
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