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21 Okt. 2024

Neurologie: Wenn es nicht mehr richtig läuft - Klassifikation und Differentialdiagnosen von Lähmungen der Gliedmaßen bei Hund und Katze -Teil 1

Neurologie: Wenn es nicht mehr richtig läuft - Klassifikation und Differentialdiagnosen von Lähmungen der Gliedmaßen bei Hund und Katze -Teil 1
Wer kennt es nicht? Die in den Hintergliedmaßen nicht mehr richtig gehfähige Französische Bulldogge kommt am Freitagnachmittag in die Praxis. Ein Bandscheibenvorfall ist eine mögliche und auch sehr wahrscheinliche Differentialdiagnose, aber wie dringend muss dieser Patient nun versorgt werden? Bei einer Überweisung des Patienten in eine Klinik bzw. der Konsultation eines Neurologen in Bezug auf den entsprechenden Patient ist es wichtig, dass alle Teilnehmer dieselbe Sprache sprechen. Gerade in Bezug auf das Thema Lähmungen ist dies aus eigener Erfahrung heraus aber manchmal gar nicht so einfach...

„Ist der Patient noch gehfähig? Welche Gliedmaßen sind betroffen? Welche Art der Lähmung liegt denn vor? Ist die Tiefenschmerzwahrnehmung noch vorhanden?“ Mit diesen Fragen möchte der Kollege oder die Kollegin am Telefon sich ein Bild vom Patienten und dessen Status machen und damit herausbekommen, wie dringend der Patient einen Termin braucht oder ob der Patient sofort als Notfall einbestellt werden sollte.

Alle Patienten, die nicht mehr gehfähig sind, sind Notfälle und sollten so schnell wie möglich in eine Praxis oder Klinik überwiesen werden, die im Falle einer kompressiven Rückenmarksschädigung (z.B. durch einen akuten Bandscheibenvorfall) auch zeitnah aktiv wird und den Patienten chirurgisch versorgen kann.

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Abbildung 1: Akute Lähmungserscheinungen der Hintergliedmaßen sind nicht selten ein Notfall und bedürfen oft einer zeitnahen Diagnosestellung mit anschließender Therapie.

 

Aber was bedeutet denn nun Gehfähigkeit überhaupt? Und ist es nun eine Plegie oder Parese? Zu Beginn ist es hilfreich sich noch einmal die richtige Terminologie ins Gedächtnis zu rufen:

Terminologie der Lähmungen

Der Begriff „Parese“ bedeutet, dass eine partielle Lähmung der Muskulatur vorliegt und bereits ein motorisches Defizit sichtbar ist. Der Begriff „Plegie“ (oder Paralyse) bezeichnet eine vollständige, schlaffe Lähmung der Skelettmuskulatur, es ist keine Motorik mehr vorhanden. Als „Paraparese“ oder „Paraplegie“ wird die beidseitige partielle bzw. vollständige Lähmung zweier Gliedmaßen bezeichnet, in der Regel ist damit ohne speziellen Zusatz die Lähmung der beiden Hintergliedmaßen gemeint, da eine isolierte Lähmung beider Vordergliedmaßen nur sehr selten auftritt. Wird von der „Tetraparese“ oder „Tetraplegie“ gesprochen, handelt es sich um die partielle oder vollständige Lähmung aller vier Gliedmaßen. Bei der „Monoparese“ oder „Monoplegie“ handelt es sich entsprechend um die Lähmung einer Gliedmaße und muss durch entsprechenden Zusatz von vorne/ hinten und rechts/ links noch näher beschrieben werden. Mit dem Zusatz „Hemi-“ wird die Halbseitenlähmung einer Körperhälfte (links/ rechts) beschrieben.   

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Abbildung 2: Flussschema Schweregrade der Lähmung

 

Die Schweregrade der Lähmung steigern sich dann wie nachfolgend beschrieben (siehe hierzu auch Abbildung 2): Beim mildesten Grad der Lähmung ist häufig nur eine Ataxie (taumelnder Gang) zu beobachten, anschließend ist eine sichtbare Lähmung, also Parese erkennbar, der Patient ist aber weiterhin gehfähig. Als „gehfähig“ wird bezeichnet, wenn der Patient in der Lage ist mindestens 10 zusammenhängende Schritte ohne Hilfe zu laufen. Wichtig ist hier, dass es darum geht, ob der Patient diese Schritte laufen kann, manche Patienten möchte diese 10 Schritte nicht mehr laufen, weil sie so große Schmerzen dabei haben, deswegen sind sie aber trotzdem noch gehfähig. Nicht mehr gehfähig, sind dann diese Patienten, die nach einigen wenigen Schritten zur Seite wegkippen und dann die Beinchen hinter sich herziehen oder gar nicht erst aufstehen können und gleich die Beine hinter sich herziehen. Wenn man letztere Patienten (also die „nicht mehr Gehfähigen“) nun unter dem Bauch unterstützt, sieht man im Falle einer nicht gehfähigen Paraparese noch Schrittbewegungen oder zumindest Zuckungen der Hinterbeinchen im Takt der Schrittfolge. Sieht man diese nicht mehr und die Beine werden vollständig geschliffen, dann ist von einer vollständigen Lähmung, also Plegie auszugehen.

Auch die Plegie kann noch weiter unterteilt werden. Besonders wichtig, vor allem prognostisch, ist der Unterschied zwischen Plegie mit oder ohne Tiefenschmerz. Daher ist der Test auf Tiefenschmerzwahrnehmung in seiner Ausführung auch von besonderer Bedeutung! Dem plegischem Patienten sollte ein tiefer Schmerzreiz an der Pfote zugefügt werden. Zum Beispiel kann mit einer Klemme die Zehe bis auf das Periost gequetscht werden. Die Reaktion des Patienten sollte eine Schmerzreaktion sein: aufjaulen, hinschauen, schmatzen oder auch beißen. Keine adäquate positive Reaktion ist das Anziehen der Pfote ohne Schmerzreaktion, denn dies ist nur der Flexorreflex, der bei einem Patienten mit einer hochgradigen Rückenmarksläsion im Bereich Th3-L3 trotzdem normal vorhanden sein sollte. Die Prognose für das Wiedererlangen der Gehfähigkeit ändert sich massiv für einen Patienten mit Bandscheibenvorfall als Ursache seiner Hinterhandlähmung, sobald die Tiefenschmerzwahrnehmung abwesend ist. Im Falle einer Paraplegie mit erhaltener Tiefenschmerzwahrnehmung liegt die Wahrscheinlichkeit für das Wiedererlangen der Gehfähigkeit mit chirurgischer Versorgung des Bandscheibenvorfalls bei über 90 % und selbst ohne chirurgische Versorgung, sondern mit konservativer Therapie, immerhin bei etwa 60 %. Ist die Tiefenschmerzwahrnehmung nun allerdings nicht mehr vorhanden reduziert sich die Wahrscheinlichkeit für das Wiedererlangen der Gehfähigkeit mit Operation auf etwa 60 % und ohne Operation auf nur 10 %. Dies muss unbedingt mit den Besitzern vor einer Therapieentscheidung kommuniziert werden!

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Wie kann man die Lähmung noch weiter beschreiben?

Mit dem Begriff „Myelopathie“ drückt man erst einmal ganz allgemein aus, dass es sich um eine Erkrankung des Rückenmarks handelt.

Doch handelt es sich wirklich um eine neurologische Erkrankung oder möglicher Weise um eine beidseitige orthopädische Erkrankung? Ein beidseitiger Kreuzbandriss kann zum Beispiel tatsächlich eine partielle Lähmung der Hintergliedmaßen mimen. In diesem Fall sind die propriozeptiven Tests wie Stell-, Korrektur- oder Hüpfreaktion bei entsprechender Unterstützung aber normal und es sollte eine weiterführende orthopädische Untersuchung durchgeführt werden. Zeigt sich eine deutlich verminderte bis komplett ausgefallen Propriozeption kann von einer neurologischen Genese ausgegangen werden. 

Oft wird der Begriff „Myelopathie“ im Zusammenhang mit dem entsprechenden Rückenmarkssegment zur näheren Lokalisation der Erkrankung genannt. Die vier Rückenmarkssegmente bei Hund und Katze sind: C1-C5, C6-Th2, Th3-L3 und L4-S3. Sind nur die Hintergliedmaßen betroffen, muss die Läsion des Rückenmarks hinter Th3 liegen. Im Bereich der Rückenmarkssegmente zwischen Th3 und L3 sind die segmentalen Reflexe der Hintergliedmaßen, wie der Patellarsehnenreflex, der Tibialis-cranialis-Reflex oder der Flexorreflex, normal (bis gegebenenfalls geringgradig übersteigert, was dem oberen Motoneuron entspricht). Die Reflexbögen der Hintergliedmaßen, die in den Rückenmarkssegmenten L4 bis S3 liegen, sind von dem Schaden nicht betroffen. Der Muskeltonus der Hintergliedmaßen ist normal bis geringgradig übersteigert. Sind die segmentalen Reflexe der Hintergliedmaßen allerdings vermindert bis ausgefallen, kann von einer Erkrankung im Bereich zwischen L4 und S3 ausgegangen werden (unteres Motoneuron). Der Muskeltonus der Hintergliedmaßen ist in diesem Fall auch reduziert und schlaff. Sind alle 4 Gliedmaßen betroffen, aber die segmentalen Reflexe aller 4 Gliedmaßen normal, wird von einer C1-C5 Myelopathie gesprochen. Sollten alle 4 Gliedmaßen betroffen sein, die segmentalen Reflexe (wie Flexorreflex, Extensor-carpi-radialis-Reflex, Trizeps-Reflex) aber reduziert bis ausgefallen sein (bei normalen segmentalen Reflexen der Hintergliedmaßen), befindet sich die Ursache der Lähmungserscheinungen im Bereich der Rückenmarkssegmente zwischen C6 bis Th2. Sind die segmentalen Reflexe aller 4 Gliedmaßen vermindert bis ausgefallen, handelt es sich nicht um eine Myelopathie, sondern um einer periphere Neuropathie.

Erwähnt werden sollte noch die Phänomene der „Schiff-Sherrington-Haltung“ und des „Spinal Shocks“. Bei der „Schiff-Sherrington-Haltung“ handelt es sich um ein Enthemmungsphänomen, bei dem die Hunde spastisch weggestreckte Vordergliedmaßen und gelähmte Hintergliedmaßen mit normalen bis reduziertem Muskeltonus zeigen. Oft sind die Hunde nicht in der Lage ohne Hilfe aufzustehen oder vorne zu laufen, sondern liegen in Seitenlage. Mit Unterstützung zeigen sich die Vordergliedmaßen aber neurologisch unauffällig. Diese Haltung spricht für ein akutes und massives thorakolumbales Rückenmarkstrauma, hat jedoch keinen prognostischen Aussagewert.

Beim „Spinal Shock“ handelt es sich um eine vorübergehende Verminderung des Muskeltonus und einer Areflexie der segmentalen Reflexe kaudal des Rückenmarkstraumas, obwohl der Reflexbogen selbst in Takt ist. Bei Hunden und Katzen sehen wir dieses Phänomen etwa bis 24 Stunden nach akuten schweren Rückenmarkstraumata hin und wieder als Ausfall des Flexorreflexes bei einer Th3-L3 Myelopathie, anschließend normalisiert sich der Reflex langsam wieder. Dies kann bei der initialen Neurolokalisation aber irreführend sein.

Im Beispielfall unserer oben vorgestellten Französischen Bulldogge, die plötzlich nicht mehr laufen kann und deutliche Lähmungsanzeichen der Hintergliedmaßen zeigt, werden bei der neurologischen Untersuchung folgende Befunde erhoben: Der Hund ist nicht mehr selbstständig gehfähig, aber mit Unterstützung ist noch Motorik erkennbar. Die Propriozeption der Hintergliedmaßen (z.B. Hüpf- und Korrekturreaktion) ist komplett ausgefallen und der Vordergliedmaßen normal, die segmentalen Reflexe aller 4 Gliedmaßen sind normal. Es lässt sich eine Druckdolenz am thorakolumbalem Übergang feststellen. Die Beschreibung für die Überweisung/ Konsultation könnte also wie nachfolgend lauten: Die Französische Bulldogge zeigt eine akute nicht-gehfähige Paraparese mit Verdacht auf Th3-L3 Myelopathie. In diesem Fall wäre eine zeitnahe Überweisung zur weiterführenden Diagnostik und anschließenden chirurgischen Versorgung, sofern sich der Verdacht auf Diskopathie bestätigt, zu empfehlen. 

 

Doch welche weiteren Differentialdiagnosen kommen für die Lähmung der Hintergliedmaßen noch in Betracht?

Differentialdiagnosen Lähmungen der Hintergliedmaßen (Paraparese/ Paraplegie)

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Abbildung 3: Übersichtstabelle mit Differentialdiagnosen für die Lähmungen der Hintergliedmaßen bei Hund und Katze geordnet nach dem VETAMIN D- Schema

 

Abbildung 3 fasst die häufigsten (und teils auch weniger häufigeren) Ursachen einer Hinterhandlähmung bei Hunden und Katzen zusammen. Je nach Spezies, Rasse, Alter, klinischem Bild und Verlauf der Erkrankung sind die Differentialdiagnosen natürlich entsprechend zu werten. Im Folgenden werden die wichtigsten Ursachen der Hinterhandlähmung noch einmal kurz besprochen:

Eine der häufigsten Ursachen für eine akute Lähmung der Hintergliedmaßen beim Hund stellt die Fibrocartilaginöse Embolie (FCE oder umgangssprachlich auch „Faserknorpelembolie“) dar. Betroffen sind vor allem mittelgroße bis große Hunde mittleren Alters und nicht selten stellt sich eine deutliche Lateralisierung der Hinterhandlähmung dar. Im Vorbericht wird oft ein Spiel oder Toben des Hundes beschrieben, in dem der Hund ganz plötzlich aufschrie und sich anschließend akut gelähmt zeigte.

Blutungen und Hämatome kommen häufiger im Zusammenhang mit Diskopathien und Traumata vor, bei denen der Venenplexus verletzt wurde. Außerdem können bei jeglichen Gerinnungsstörungen Blutungen im ZNS auftreten. Auch durch die Wanderung der Larven von Angiostrongylus vasorum kommen Blutungen und Hämatome im ZNS vor.

Als entzündliche Ursachen kommen autoimmun-bedingte (z.B. im Rahmen einer GME (Granulomatösen Meningo(enzephalo)myelitis)) oder infektiöse Myelitiden (z.B. Staupe/ Neosporose/ Toxoplasmose Hund, FIP/ FelV Katze) in Betracht. Spinale Empyeme entstehen nicht selten durch (unentdeckte) Bissverletzungen (v.a. Katze mit Revierkämpfen) oder auch wandernde Fremdkörper.  Die Diskospondylitis stellt eine infektiöse (bakterielle oder fungale) Entzündungen der Bandscheiben und der angrenzenden Endplatten dar. Diese Patienten zeigen vor allem akute Schmerzen und erst mit Fortschreiten der Erkrankung auch neurologische Ausfälle. Der Verlauf vor der Diagnosestellung ist oft chronisch progressiv und nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der Patienten zeigt Fieber als Symptom.

Traumatische Ursachen sind Wirbel(luxations)frakturen, der Schwanzabriss bei der Katze (seltener Hund) oder auch das Kippfenstersyndrom der Katze. (Für mehr Informationen zum Kippfenstersyndrom oder Schwanzabriss siehe entsprechenden Blogbeitrag.) Sobald aufgrund der Vorberichts (Hinterhandlähmung nach vorherigem Trauma) der Verdacht einer Wirbelfraktur besteht, sollte der Patient nur noch äußerst vorsichtig gehändelt werden. Es empfiehlt sich die Lagerung auf einem Brett, an dem der Patient fixiert wird, um eine Verschlimmerung durch das Hochheben oder eine unbedachte Bewegung zu vermeiden. Diese Patienten sollten keine Muskelrelaxantien bekommen, da die Muskulatur die kaputte Wirbelsäule noch stabilisiert und nach Relaxation eine komplette Luxation auftreten kann. Wichtig ist auch hier die Erfassung des Neurostatus. Sollte der Patient plegisch sein und keinen Tiefenschmerz mehr empfinden und im Röntgen eine Wirbelluxationsfraktur nachgewiesen werden, so ist die Prognose für das Wiedererlangen der Gehfähigkeit als infaust (Prognose für das Wiedererlangen der Gehfähigkeit unter 5 %) zu betrachten und muss mit den Besitzern kommuniziert werden. 

Eine weitere traumatische Ursache ist der traumatische Bandscheibenvorfall (Diskopathie Typ 3 bzw. ANNPE – acute non-compressive nucleus pulposus extrusion). Hier kommt es durch ein Trauma (Spiel/ Sprung oder Aufprall bei z.B. Verkehrsunfall) zum Austritt einer kleinen Menge nicht-degenerierten, flüssigen Nucleus pulposus Inhalts in den Wirbelkanal, was zu einer akuten Prellung des Rückenmarks bis hin zu einem Durchschuss führen kann, da wenig Volumen mit sehr hoher Geschwindigkeit aufprallt. Betroffen sind daher oft jüngere Hunde mit Vorberichts eines Traumas oder eines Unfalls beim Toben mit anderen Hunden. Da sich das wenige Material im Wirbelkanal verteilt und die Prellung des Rückenmarks bzw. die Zerstörung des Myelons im Falle eines „Durchschusses“ für die Lähmungserscheinungen verantwortlich ist, wird in diesem Fall meist keine chirurgische Therapie notwendig.

Zu den angeborenen Ursachen gehören Wirbelmalformationen, die in der Regel mit Fehlstellungen der Wirbelsäule und teils auch Spinalkanalstenosen einhergehen. Klinische Probleme treten als chronisch-progressiver Verlauf auf. Das spinale arachnoidale Divertikel kann angeboren oder erworben sein und zeichnet sich durch eine Liquorabflussstörung, die zu einer sackartigen Erweiterung des subarachnoidalen Raums, in dem der Liquor fließt, aus. Diese Erweiterung drückt auf das Rückenmark und führt zum klinischen Bild einer chronisch-progressiven Hinterhandlähmung mit deutlichem Zehenschleifen und teils auch Urin- oder Kotinkontinenz, aber klassischer Weise eher ohne Dolenzanzeichen bei der Wirbelsäulenpalpation. Bei der Syringohydromyelie handelt es sich ebenfalls um eine Liquorabflussstörung, die entweder angeboren (bzw. im Zusammenhang mit anderen angeborenen Anomalien wie der Chiari-like Malformation) oder sekundär erworben auftritt. In diesem Fall kommt es zu einer Erweiterung des liquor-führenden Zentralkanals innerhalb des Myelons, was zu entsprechenden Ausfällen und auch Schmerzen führt.

Als einzige metabolische Ursache kommt die Hypervitaminose A der Katze in Betracht, welche nicht selten durch rohe Leberfütterung ausgelöst wird. Es kommt zum überschießenden Knochenaufbau, was im Bereich der Wirbelsäule zu Spondylosen, Skoliose und Spinalkanalstenose, sowie Nervenwurzelkompressionen führen kann. Häufiger ist die Halswirbelsäule betroffen, aber auch der thorakolumbale Bereich kann betroffen sein.

Hohe Dosen antiepileptischer Medikamente wie Phenobarbital oder Kaliumbromid können zu einer Ataxie der Hintergliedmaßen bis zu einer milden Parese mit Zehenschleifen und verzögerten bis ausgefallen Stellreflexen führen.

Jegliche Neoplasien im Bereich der Wirbelsäule/ des Rückenmark/ der Meningen und des angrenzendes Weichteils können anders als vielleicht vermutet akut in Erscheinung treten. Man erwartet einen chronisch-progressiven Kurs, in der Realität sind aber akute Vorstellungen ebenso häufig, was die TierbesitzerInnen oft sehr hart trifft.

Degenerative Erkrankungen kommen sehr häufig vor und dies auch bei akuten Hinterhandlähmungen. Allen voran die Typ 1 Diskopathie (Extrusion), bei der eine Rasseprädisposition für chrondrodystrophen Rassen besteht. Auch die Typ 2 Diskopathie (Protrusion) kann sowohl ein akutes klinisches Bild zeigen. Meist handelt es sich dabei um eine akute Verschlechterung einer bereits bestehenden chronischen Gangbildauffälligkeit. Hier sind ältere Hunde nicht-chondrodystropher Rassen öfter betroffen. Eine besondere Form, die auch ein wenig aus der Reihe fällt ist, der HNPE (hydrated nucleus pulposus extrusion oder umgangssprachlich auch „Bandscheibenzyste“). Die Bandscheibe zeigt in der MRT-Diagnostik oft noch keine deutlichen Degenerationsanzeichen, aber histologisch lassen sich meist geringgradige degenerative Erscheinungen des Anulus fibrosus nachweisen, in die Flüssigkeit eingelagert wurde. Die Patienten präsentieren sich mit einer akuten Lähmung. Die Entstehung dieser „Bandscheibenzysten“, die eine Untergruppe des Bandscheibenvorfalls darstellen, ist derzeit noch unklar.

Im Gegensatz hierzu zeigt sich die „Lumbosakrale Stenose“ immer chronisch-progressiv und beginnt oft mit intermittierenden Lahmheiten, Schmerzen beim Sprung, Zehenschleifen und beim Fortschreiten der Erkrankung auch mit Kot- und/ oder Harninkontinenz. Hier sind vor allem mittelgroße bis große Hunderassen betroffen. Die „Konstriktive Myelopathie“ kommt vor allem beim Mops, aber auch anderen brachycephalen und screw-tailed Rassen und deren Mischlinge vor. Auch hier zeigt sich ein chronisch progressives klinisches Bild mit Zehenschleißen, fortschreitender Paraparese und Harn- und/ oder Kotinkontinenz. Die Erkrankung steht oft im Zusammenhang mit einer angeborenen Hypo- oder Aplasie der Facettengelenke im thorakolumbalen Wirbelsäulenbereich. Die „Degenerative Myelopathie“ ist ebenfalls eine chronisch-progressive Erkrankung, die zu Lähmungserscheinungen der Hintergliedmaßen führt. Betroffen sind hier vor allem adulte, etwas ältere Hunde (um die 8 Jahre). Zu Beginn zeigt sich die Erkrankung als T3-L3 Myelopathie und schreitet dann weiter fort zu einer L4-S3 Myelopathie. Es ist ein Gentest für verschiedene Rassen erhältlich, der die Mutationsvariante im Exon 2 des SOD1-Gens nachweisen kann. Für den Berner Sennenhund gibt es zusätzlich noch einen Gentest auf die Mutation im Exon 1.

 

Und was kommt nun häufiger bei der Katze vor?

Häufige akute Ursachen sind im Allgemeinen: eine Aortenthrombose (Puls der Hintergliedmaßen checken!), das spinale (oder allgemein zentrale) Lymphom, der Schwanzabriss, ischämische Myelopathien, Wirbel(luxations)frakturen nach Trauma, das Kippfenstersyndrom der Katze (bei entsprechendem Vorbericht), Myelitis (autoimmun vs. infektiös durch z.B. FIP) und sehr viel seltener als beim Hund kommen auch Diskopathien vor. Bei eher chronischem Verlauf kommen zum Beispiel Spinalkanalstenosen und Neoplasien in Betracht.

 

Fazit:

Jegliche Patienten, die noch gehfähig sind, können vorerst konservativ therapiert werden. In den überwiegenden Fällen bedeutet dies: strikte Ruhighaltung, Physiotherapie, gegebenenfalls Neuroprotektiva (wie B-Vitamine) und falls erforderlich Analgesie (NSAID und/ oder Gabapentin bzw. Pregabalin). Sollte damit in den kommenden Wochen die Symptomatik nicht verbessert werden oder gar eine deutliche Verschlechterung eintreten, ist eine weiterführende Diagnostik ratsam, da es eine Fülle an Differentialdiagnosen gibt und nur mit einer Diagnose auch eine gezielte Therapie begonnen werden kann.

Im Fallen von akut nicht mehr gehfähigen Patienten, sollte nach Rücksprache mit den Besitzern und in Abhängigkeit von deren Bereitschaft zur weiterführenden Diagnostik und gegebenenfalls chirurgischen Versorgung (und dem Tragen der damit verbundenen Kosten) eher zeitnah überwiesen werden. Akut paraplegische Patienten ohne Tiefenschmerzwahrnehmungen sollten als Notfall behandelt und sofort überwiesen werden, um eine zeitnahe Versorgung zu gewährleisten.

 

 

 

Zum Weiterlesen:

[1] Olby NJ, Moore SA, Brisson B, Fenn J, Flegel T, Kortz G, Lewis M, Tipold A. ACVIM consensus statement on diagnosis and management of acute canine thoracolumbar intervertebral disc extrusion. J Vet Intern Med. 2022 Sep;36(5):1570-1596. doi: 10.1111/jvim.16480. Epub 2022 Jul 25. PMID: 35880267; PMCID: PMC9511077.

[2] Spinella G, Bettella P, Riccio B, Okonji S. Overview of the Current Literature on the Most Common Neurological Diseases in Dogs with a Particular Focus on Rehabilitation. Vet Sci. 2022 Aug 13;9(8):429. doi: 10.3390/vetsci9080429. PMID: 36006344; PMCID: PMC9414583.

[3] Pilkington EJ, De Decker S, Skovola E, Cloquell Miro A, Gutierrez Quintana R, Faller KME, Aguilera Padros A, Goncalves R. Prevalence, clinical presentation, and etiology of myelopathies in 224 juvenile dogs. J Vet Intern Med. 2024 May-Jun;38(3):1598-1607. doi: 10.1111/jvim.17045. Epub 2024 Mar 14. PMID: 38483074; PMCID: PMC11099773.

[4] Eminaga S, Palus V, Cherubini GB. Acute spinal cord injury in the cat: causes, treatment and prognosis. J Feline Med Surg. 2011 Nov;13(11):850-62. doi: 10.1016/j.jfms.2011.09.006.

[5] Langerhuus L, Miles J. Proportion recovery and times to ambulation for non-ambulatory dogs with thoracolumbar disc extrusions treated with hemilaminectomy or conservative treatment: A systematic review and meta-analysis of case-series studies. Vet J. 2017 Feb;220:7-16. doi: 10.1016/j.tvjl.2016.12.008. Epub 2016 Dec 16. PMID: 28190499.

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