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22 Juli 2024

Interview mit Nane Schomburg: Thema Qualzucht – Menschengemachtes Leid im Ziervogelbereich

Interview mit Nane Schomburg: Thema Qualzucht – Menschengemachtes Leid im Ziervogelbereich
In diesem Blogbeitrag wollen wir uns mit dem Thema Qualzuchten bei Ziervögeln beschäftigen. Hierfür habe ich mit Nane Pauline Schomburg gesprochen, welche seit 2022 ihre Dissertation zum Thema „Qualzuchtmerkmale bei Ziervögeln und deren Bewertung unter tierschutzrechtlichen Aspekten“ schreibt. Nane Pauline Schomburg hat von 2016 bis 2022 an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig studiert und führt seit 2021 eine eigene Website und den Social Media Account @allesfuerdietiergesundheit, um auch außerhalb der tiermedizinischen Bubble über die Probleme und Leiden von Tieren mit Qualzuchtmerkmalen aufzuklären. Auf Instagram geht es vor allem um Qualzuchten im Kleintierbereich, Tierkrankenversicherungen und weitere Themen rund um den Hund. Aktuell arbeitet Sie in der Kleintierklinik Dr. med. vet. Apelt in Essen in Nordrhein-Westfalen.

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SG: Hallo liebe Nane. Klasse, dass du dir Zeit nimmst, um mit uns über dieses wichtige Thema der „Qualzucht“ zu sprechen. Vielen Dank dafür! Dann wollen wir gleich beginnen. Was versteht man eigentlich unter dem Begriff „Qualzucht“?

NPS: „Qualzucht“ bezieht sich auf die Zuchtpraxis, bei der bestimmte Merkmale bei Tieren toleriert oder gefördert werden, die zu Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen führen. Tiere, die unter diesen Bedingungen gezüchtet werden, werden als Qualzüchtungen bezeichnet.

 

SG: Und was sind solche sogenannte „Qualzuchtmerkmale“?

NPS: Es ist wichtig, zwischen Prädisposition und Qualzuchtmerkmal zu unterscheiden: Zuchtbedingte Merkmale, die eine Prädisposition für bestimmte Erkrankungen mit sich bringen, können das Auftreten dieser Erkrankungen und die damit verbundenen Schmerzen, Leiden oder Schäden begünstigen. Im Gegensatz dazu sind Qualzuchtmerkmale das Ergebnis gezielter züchterischer Selektion, die zwangsläufig mit Schmerzen, Leiden und/oder Schäden verbunden sind. Im Hundebereich wäre der Dackel zum Beispiel ein Tier mit starker Prädisposition, da es durch seine genetische Knorpelstörung sehr wahrscheinlich ist, das er im Laufe seines Lebens einen Bandscheibenvorfall erleiden wird. Der Mops dagegen ist als Qualzucht einzustufen, da der verkürzte Schädel als Rassemerkmal zwangsläufig vorhanden ist und in jedem Fall gegenüber normozephalen Hunden zu Einschränkungen der Atmung und Thermoregulation führt.

 

SG: In deiner Dissertation beschäftigst du dich ja mit Qualzuchtmerkmalen bei Ziervögeln. Welche sind bei Vögeln relevant?

NPS: Bei den Vögeln stehen vor allem Skelettveränderungen, Federanomalien, Pigmentierungsanomalien und Kurzschnäbligkeit in der Diskussion.

 

SG: Schauen wir uns doch so ein Qualzuchtmerkmal etwas genauer an: Was ist das konkrete Problem bei den Züchtungen mit „Haube“?

NPS: Vögel mit dem Merkmal Federhaube leiden unter verschiedenen gesundheitlichen und funktionellen Beeinträchtigungen. Pathologische Ursachen müssen in Betracht gezogen werden, und die Vögel können Muskeltremore, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen sowie Verhaltensdefekte zeigen. Zudem kann ihr Sehvermögen beeinträchtigt sein. Darüber hinaus sind Fruchtbarkeitsstörungen häufig.

 

SG: Welche anderen abnormen Federeigenschaften werden ebenfalls als Qualzucht eingeschätzt?

NPS: Die Ausprägung der Langfiedrigkeit in Form des Feather Duster ist als ein Qualzuchtmerkmal zu klassifizieren. Dies wird durch mehrere Indikatoren belegt, welche ausführlich mit der Publikation meiner Dissertation zugänglich sein werden. Zusätzlich können Minderbefiederung und Federrosetten als Prädisposition eingestuft werden, da sie ebenfalls zu Schmerzen, Leiden und Schäden führen können.

 

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Abbildung: Hagoromo Wellensittich auf dem AviMarkt 2022. Dies stellt eine relativ „neue“ Zuchtform dar, die zusätzlich zu ihrer Haube auch Federrossetten am Rücken haben, um wie ein Helikopter auszusehen (Bildquelle: Nane Pauline Schomburg).

 

SG: Ich habe kürzlich von sogenannten „gebogenen“ Positurkanarien gelesen. Was versteht man darunter?

NPS: Gebogene Positurkanarien sind eine spezielle Zuchtform von Kanarienvögeln, die durch ihre charakteristisch gebogene Körperhaltung auffallen. Die Zucht dieser Vögel wird als Qualzuchtmerkmal klassifiziert. Dies liegt an mehreren Indikatoren: Erwartet werden Schäden, Leiden und Schmerzen aufgrund unzureichender Verhornungen, Rötungen und Druckstellen im Bereich der Sohlen- und Zehenballen. Außerdem sind Gelenkschäden und Fruchtbarkeitsstörungen bei diesen Vögeln häufig, was zusätzliches Leiden verursacht. Das Wohlbefinden der Vögel wird durch diese gesundheitlichen Probleme erheblich beeinträchtigt, da sie zu Einschränkungen im Ruhe- und Bewegungsverhalten führen. Diese Beeinträchtigungen sind nicht mit normalem, artgemäßem Verhalten vereinbar und begründen somit den Zustand des Leidens.

 

SG: Welche Farbmutationen bei Ziervögeln gehen mit Defekten einher?

NPS: Pigmentierungsanomalien bei Zebrafinken, Japanischen Mövchen, Kanarienvögeln und Nymphensittichen können zu erheblichen Problemen führen, die sowohl das Wohlbefinden als auch die Gesundheit der Tiere beeinträchtigen.

Bei Zebrafinken führt die homozygote Zucht von Trägern des Wangenflecken- oder Dominant-Pastell-Gens zu Augenanomalien, die das Sehvermögen stark einschränken und als Letalfaktoren zum Absterben der Embryonen führen.

Japanische Mövchen mit weißer Gefiederfärbung sind prädisponiert für Katarakte und Iriskolobom-ähnliche Veränderungen, die das Sehvermögen beeinträchtigen und somit das Wohlbefinden und die Gesundheit der Tiere erheblich einschränken. Diese Anomalien werden durch selektive Zucht gefördert und können zu erheblichen Leiden führen.

Kanarienvögel des Farbschlags „Rezessiv-Weiß“ leiden unter Fruchtbarkeitsstörungen, erhöhter Embryonal- und Nestlingssterblichkeit sowie Augenanomalien, die das Sehvermögen beeinträchtigen. Zudem benötigen sie eine dauerhafte Zufütterung von Vitamin-A-haltigen Zusatzstoffen, um zu überleben, was ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden stark einschränkt. Diese Probleme führen zur Klassifizierung als Qualzucht.

Nymphensittiche des Farbschlags „Rezessiv-Silber“ haben ähnliche Probleme mit erhöhten Embryonal- und Nestlingssterblichkeiten, Sehbeeinträchtigungen und Fruchtbarkeitsstörungen. Diese genetischen Mutationen verursachen ebenfalls erhebliche Schmerzen, Leiden und Funktionsstörungen, was sie als Qualzuchtmerkmal klassifiziert.

 

SG: Gibt es bereits rechtliche Schritte gegen Qualzuchten beim Vogel? Bzw. Gerichtsurteile gegen bestimmte Merkmale, die mit Defekten einhergehen?

NPS: In Bezug auf gerichtliche Urteile zu Qualzuchten bei Ziervögeln ist die Rechtsprechung in vielen Ländern begrenzt und oft nicht spezifisch auf diese Tiere zugeschnitten. Ein Beispiel, das als Orientierung dienen könnte, ist das „Haubenenten-Urteil“ von 2002. Hierbei wurde die Haltung und Zucht von Haubenenten als qualvoll eingestuft, was für ähnliche Fälle richtungsweisend sein könnte.

 

SG: Was können wir als Tierärzte und tiermedizinisches Fachpersonal gegen Qualzuchten unternehmen?

NPS: Als Tierärzte und tiermedizinisches Fachpersonal können wir verschiedene Maßnahmen ergreifen, um gegen Qualzuchten vorzugehen. Ein wichtiger Schritt ist die Aufklärung und Beratung von Tierbesitzern über die gesundheitlichen Probleme und Leiden, die mit Qualzuchten verbunden sind. Wir sollten sie über die ethischen und tierschutzrechtlichen Aspekte informieren und auch Züchter über die negativen Auswirkungen von Qualzuchten beraten und alternative Zuchtmethoden fördern.

Die Dokumentation und Berichterstattung von Verdachtsfällen an die zuständigen Behörden ist ebenfalls essenziell. Eine sorgfältige Dokumentation der gesundheitlichen Probleme, die auf Qualzuchten zurückzuführen sind, hilft, Muster und Häufigkeiten zu erkennen und kann zur Einleitung von Ermittlungen und gegebenenfalls zu rechtlichen Maßnahmen führen.

Die Zusammenarbeit mit Behörden und Organisationen, wie Tierschutzorganisationen, ist wichtig, um gemeinsam gegen Qualzuchten vorzugehen. Es ist notwendig, sich für strengere Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Tiere einzusetzen. Darüber hinaus sollten wir uns selbst weiterbilden und Fortbildungen und Schulungen anbieten, um das Bewusstsein und das Wissen über Qualzuchten innerhalb des Berufsstandes zu erhöhen. Auch die Werbung mit Tieren mit Qualzuchtmerkmalen spielt eine große Rolle, da die Probleme der Tiere durch diese Präsentation verharmlost und der unterbewusste Wunsch nach Ihnen gefördert werden. Viele Unternehmen sind sich dieser Auswirkungen nicht bewusst. Aus diesem Grund habe ich auf meiner Website gemeinsam mit einer Kollegin (Dr. Deborah Wimmer @dogtordebbie) einen Text entworfen, den man an eben solche Firmen schicken kann, um auf die Problematik aufmerksam zu machen (https://www.allesfuerdietiergesundheit.de/post/text-f%C3%BCr-unternehmen-mit-qualzuchten-in-der-werbung ).

 

Zum Weiterlesen:

Es gibt nur begrenzte und noch weniger aktuelle Literatur zu dem Thema der Qualzuchten bei Ziervögeln. Diese Lücke in der Literatur unterstreicht die Bedeutung von Dissertationen und akademischen Arbeiten, die diese Problematik umfassend zusammenfassen und aufgreifen.

  • Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht (2005). Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen).
  • Van Zeeland, Y. R. A./Schoemaker, N. J. (2014). Plumage disorders in psittacine birds. part 1: feather abnormalities. European Journal of Companion Animal Practice
  • Bartels, T. Tierschutz und Rassetaubenzucht. STS-Merkblatt.
  • Wriedt, Anja (2001). Untersuchungen zur Farbvererbung bei Japanischen Mövchen (Lonchura striata f. dom.) unter besonderer Berücksichtigung der Manifestation von Katarakten bei der leuzistischen Farbvariante. Dissertation. TiHo Hannover.
  • Koser, J. (2019). Zucht von Schauwellensittichen. Qualzucht und Tierleid oder zukunftsträchtiges Hobby? Papageien-und-Sittich-Journal.
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